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Erst die Insekten, jetzt die Vögel

Eine Langzeituntersuchung am Bodensee zeigt: es gibt viel weniger Vogelbrutpaare als vor 30 Jahren. Ist das Vogelsterben in vollem Gang?

Es trifft besonders die Vögel, die einst sehr häufig waren - die Arten, die für uns ganz selbstverständlich dazu gehören: Amsel, Drossel und andere Singvögel. Den Spatz trifft es besonders schlimm: Seine Bestände sind um die Hälfte eingebrochen.

Rotkehlchennest
Bei den Rotkehlchen sind die Bestände um ein Viertel eingebrochen.
Quelle: ap

Lebten 1980 am Bodensee noch rund 465.000 Brutpaare, waren es 2012 nur noch 345.000. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern der Ornithologischen Arbeitsgruppe Bodensee und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie. Haussperling, Amsel, Star, Rotkehlchen und Feldlerche sind besonders stark zurückgegangen. Viele weitere Arten kommen nur noch in geringen, oft nicht mehr überlebensfähigen Populationen und an immer weniger Orten rund um den Bodensee vor. Eine ähnliche Entwicklung befürchten die Forscher auch in anderen Regionen Deutschlands.

"Erschütternde Zahlen"

Dabei erscheint die Bilanz der Zählungen von 1980 bis 2012 auf den ersten Blick ausgewogen: Von den 158 rund um den Bodensee vorkommenden Vögeln haben 68 Arten zu- und 67 abgenommen, das entspricht jeweils rund 43 Prozent. Die Gesamtzahl an Arten hat sogar leicht zugenommen: Auf acht ausgestorbene Arten kommen 17, die sich neu oder wieder neu angesiedelt haben, darunter Weißstorch, Wanderfalke und Uhu, die von Schutzmaßnahmen profitiert haben.

Der Grund für diesen scheinbaren Widerspruch ist, dass eben vor allem häufig vorkommende Arten stark zurückgehen. Von den zehn häufigsten Vogelarten am Bodensee haben sechs massiv abgenommen, das sind die "Allerweltsvögel" Sperling, Amsel, Buchfink, Rotkehlchen, Star und Grünfink, zwei Arten - Kohlmeise und Zilpzalp - blieben unverändert und nur zwei - Mönchsgrasmücke und Blaumeise - haben zugenommen.

Vogelfeindliche Agrarlandschaft

Der Studie zufolge gehen die Vögel rund um den Bodensee vor allem in Landschaften zurück, die vom Menschen intensiv genutzt werden. Dies betrifft vor allem die heutige Agrarlandschaft: 71 Prozent der auf Wiesen und Feldern lebenden Arten verzeichnen zum Teil drastische Bestandseinbrüche, zum Beispiel 88 Prozent bei der Feldlerche. Das einstmals in der Agrarlandschaft häufige Rebhuhn zum Beispiel ist rund um den Bodensee inzwischen ausgestorben. Auch Raubwürger, Wiesenpieper und Steinkauz gibt es dort heute nicht mehr.

Nahrungsmangel durch Insektenrückgang

Ein Hauptgrund für den Vogelschwund ist der Verlust von Nahrung. So haben den Ornithologen zufolge am Bodensee 75 Prozent der Fluginsekten-fressenden und 57 Prozent der sich von Landwirbellosen ernährenden Vogelarten abgenommen. Ein Verdacht bestätigt sich:

"Das durch den Menschen verursachte Insektensterben wirkt sich massiv auf unsere Vögel aus“ Hans-Günther Bauer, Ornithologe, MPI

Die heutigen Erntemethoden lassen kaum mehr Sämereien für körnerfressende Arten übrig. Das frühe und häufige Abmähen großer Flächen, der Anbau von Monokulturen, der frühzeitige Aufwuchs des Wintergetreides, Entwässerungsmaßnahmen und das Fehlen von  Brachflächen zerstören den Lebensraum vieler Arten.

Arten je nach Lebensraum unterschiedlich betroffen

Aber nicht nur aus Wiesen und Feldern, auch aus den Dörfern und Städten rund um den Bodensee verschwinden die Vögel. "Offensichtlich können die Tiere inmitten der Häuserschluchten, Zierbäume und sauberen Nutzgärten immer seltener erfolgreich brüten", so Bauer.

Junger Star
Quelle: dpa

Dagegen scheint es den Waldvögeln am Bodensee vergleichsweise gut zu gehen: 48 Prozent der im Wald lebenden Arten verzeichnen steigende Bestände, nur 35 Prozent gehen zurück. Ein Beispiel dafür ist der Buntspecht mit einem Zuwachs von 84 Prozent. Wie andere Spechte scheint auch er bislang von den größeren Holzmengen in den Wäldern profitiert zu haben. Trotzdem gehen auch in den Wäldern viele Vogelarten zurück. Die Bestände des Waldlaubsängers sind zum Beispiel um 98 Prozent eingebrochen, die des Sommergoldhähnchens um 61 Prozent.

Abwärtstrend geht weiter

Alles in allem dokumentiert die letzte Bestandserfassung 2010-2012 dieselben Entwicklungen und Ursachen wie die vorhergehenden Zählungen. Teilweise hat sich die Situation im Vergleich jedoch nochmals deutlich verschlechtert. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass sich die Situation seither zum Positiven gewandelt hat. "Die Lebensbedingungen für Vögel rund um den Bodensee haben sich in den letzten sieben Jahren eher weiter verschlechtert. Die Bestandszahlen sind deshalb inzwischen vermutlich noch weiter gesunken", so Bauer.
Die Ergebnisse dieser Langzeitstudie spiegeln die Entwicklung der Brutvogelbestände deutschlandweit, sind sich die Forscher sicher.

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