Gesellschaft
Einzelhandel: Wie steht es um die Läden?
Als der Einzelhandel vor einem Jahr im ersten Corona-Lockdown versank, fragten wir Prof. Gerrit Heinemann, was das bedeute. Er war pessimistisch. Höchste Zeit, einmal nachzuhaken.
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makro: "Für die kleinen lokalen Händler in der Innenstadt ohne Onlineshop sieht es düster aus", prophezeiten Sie in einem Interview, das wir zu Beginn der Corona-Pandemie führten. Wie ist heute, ein gutes Jahr später, die Lage?
Gerrit Heinemann: Die Lage für lokale Händler in der Innenstadt hat sich deutlich verschärft. Während der Handelsverband Deutschland (HDE) im ersten Shutdown noch von bis zu 50.000 Geschäftsaufgaben sprach, sind es mittlerweile mindestens 120.000. Runde 62% der Innenstadthändler befürchten laut aktueller Umfrage bis Ende diesen Jahres das Aus. Im schlimmsten Fall stehen bis 2022 bis zu 200.000 Geschäfte leer.
Die Erosion der Innenstädte ist in vollem Gange. Derzeit gibt es kaum eine Stadt, in der dieses Drohszenario nicht diskutiert wird. Oft wird noch an die Renaissance der Einkaufsstädte geglaubt. Studien sprechen aber eher von einer "Dekade des Zuhauses". Kunden werden zum Einkaufen nicht mehr in Massen wie früher in die Innenstädte zurückkehren.
Zur Person
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Experte für Einzelhandel und eCommerce
makro: Ein Schlüssel für das Überleben der Einzelhandelsgeschäfte ist die Verknüpfung von Online und Offline. Wie weit ist das gelungen?
Heinemann: Um Online und Offline verknüpfen zu können, sollte erst einmal ein funktionsfähiger Online-Shop vorliegen, der nicht innerhalb eines Jahres und vor allem nicht in einer existenziellen Krise aus dem Boden gestampft werden kann. In den meisten Fällen fehlt es an dem erforderlichen Know-how, aber auch an der Investitionsbereitschaft sowie natürlich den Mitteln.
Nach dem dritten Shutdown sind sämtliche Puffer und finanziellen Spielräume aufgebraucht. Es geht vielfach nur noch um das nackte Überleben. Und bei rund drei Vierteln der kleinen Innenstadthändler liegen für den Online-Handel auch nach dem ersten Coronajahr nicht einmal die Voraussetzungen für einen Onlineverkauf vor wie zum Beispiel ein performantes elektronisches Warenwirtschaftssystem.
makro: Die Digitalisierung hält viele Hilfsmittel parat, mit denen der stationäre Handel Anschluss an Onlinewelt und Multi-Channel-Handel finden kann. Hilft das?
Heinemann: Das gilt zweifelsohne für Online-Werbung, die auch ohne Online-Shop möglich ist. Immerhin waren per Ende 2020 bereits mehr als 40% aller Werbeausgaben in Deutschland online. Digitale Präsenz erfordert dabei nicht zwangsweise auch große Budgets. So haben viele Innenstadthändler während des Shutdowns mit Erfolg Facebook und Instagram genutzt, um sich zu präsentieren und Verkaufsbereitschaft per Telefon oder Fax zu signalisieren.
Zudem steuert Google mittlerweile Suchanfragen lokal aus und weist darauf hin, dass lokale Händler sich nur andocken müssten, um als Suchergebnis zu erscheinen. Davon machen allerdings die wenigsten Gebrauch.
In der derzeitigen Notsituation, in der vor allem Liquidität fehlt, haben viele Händler allerdings auch gar nicht den Kopf frei für Themen, mit denen sie sich auch die letzten 25 Jahre nicht beschäftigt haben.
makro: Zwar werden die Leute mit Ende der Corona-Beschränkungen wieder in die Läden strömen. Aber viele Kunden - auch Ältere! - haben die Vorteile des Online-Einkaufs schätzen gelernt. Hat sich unser Einkaufsverhalten dauerhaft verändert?
Heinemann: Nicht wenige Kunden waren während der Shutdowns gezwungen, erstmals im Online-Handel einzukaufen, wenn sie dringend Ware benötigten. Sie haben damit nach eigenen Angaben gute Erfahrungen gemacht und werden nicht mehr darauf verzichten, wenn sie keine Zeit oder Lust haben, zum Einkaufen in die Innenstadt zu fahren. Dieses wird ja auch mit dem eigenen Auto immer schwieriger und zugleich teurer.
Das merken auch die Lebensmittelhändler. Vor allem Online-Lebensmittel waren und sind die Gewinner der Corona-Krise, die quasi den Dammbruch bei eFood bewirkt hat.
Nicht ohne Grund haben sich EDEKA mit Picnic und REWE mit Flink an entsprechenden Start-ups beteiligt.
Das Interview führte Carsten Meyer.