Film
The Gate - Ein Leben lang im Krieg
Prärie, Felsen und Mustangs: Die Gegend um den US-Militärstützpunkt in Utah erinnert an einen Western. Dort verschwand der Soldat Joseph. Sein Vater hat ihn bis heute nicht gefunden.
- Produktionsland und -jahr:
-
Deutschland 2023
- Datum:
- FSK
- FSK 12
- von 20 bis 6 Uhr
Die Suchbewegung des Vaters nimmt der Dokumentarfilm auf, um sich der Allgegenwärtigkeit von Krieg und Traumata zu stellen. Denn ein Militärseelsorger, ein Überlebender der Hiroshima-Bombe und ein US-Sergeant sind untrennbar mit diesem besonderen Ort verbunden.
Wie wirkt sich die Allgegenwart von Krieg auf das Leben aus? In den Weiten der Wüste Utahs, wo die US-Armee neue Waffensysteme testet, sucht der Dokumentarfilm "The Gate - Ein Leben lang im Krieg" von Jasmin Herold und Michael Beamish nach Antworten im alltäglichen "American Way of Life".
Der "Dugway Proving Ground" ist eine militärische Testanlage in der Nähe von Salt Lake City, die Ende des Zweiten Weltkrieges errichtet wurde, um chemische und biologische Waffen zu erproben. Bereits die Piloten von Hiroshima haben auf diesem Gelände trainiert. Heute ist Dugway spezialisiert auf Atomwaffen, chemische und biologische Kampfstoffe wie Anthrax und spezielle Nervengifte - noch immer ein mysteriöser "Unort" hinter Stacheldraht, auf dem höchste Geheimhaltungsstufe gilt.
Der neue Film des Autorenpaars Jasmin Herold und Michael Beamish umkreist in poetischen Bildern dieses karge Gebiet wie auch die großen Themen von Verlust, Selbstschutz und Vaterlandsliebe. In Gesprächen mit "Kriegsversehrten" unterschiedlichster Provenienz, vom Militärseelsorger bis zum früheren Führungsoffizier des verschwundenen Soldaten Joseph und einem Hiroshima-Überlebenden, wird der Claim eines Verlusts abgesteckt.
Denn das Verschwinden von Joseph hat nicht nur eine Leerstelle im Leben des Vaters hinterlassen - es wirft auch ein Licht auf die allgegenwärtige und unhinterfragte Kriegsbereitschaft einer Weltmacht. Wie beiläufig behandelt der Film dabei die Frage nach den menschlichen Kollateralschäden dieses Anspruchs, einem verhältnismäßigen Umgang mit ihnen oder gar einer Möglichkeit der Heilung.
Wie in ihrem Vorgängerfilm "Dark Eden" über eine Fracking-Hochburg in Kanada (Erstausstrahlung 9.12.2019 in 3sat), versteht sich das Autorenpaar auf den Balanceakt zwischen dokumentarischer Beobachtung, investigativem Anspruch und einer atmosphärischen Bildsprache.
Mit "Dark Eden" gewann die Leipzigerin Jasmin Herold gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem Kanadier Michael Beamish, in der Kategorie "Nachwuchs" den Deutschen Dokumentarfilmpreis 2019 sowie den Grimme-Preis 2020.
Interview mit Jasmin Herold und Michael Beamish
Quelle: Amanda Annand
Ihr Film spielt an einer Art Unort in der Wüste von Utah. Wie haben Sie ihn gefunden?
Michael Beamish: Wir beide sind von Isolierten Orten fasziniert, weil sie den Menschen und sein Handeln oft wie unter einem Brennglas zeigen. Während wir also für einen neuen Film recherchierten, stießen wir zufällig auf Dugway. Als wir dann noch wenig später über das Verschwinden von Joseph Bushling lasen, war klar: Das wird unser Film.
Die Protagonisten haben oder hatten alle mit der US-amerikanischen Armee zu tun und waren größtenteils auch in Einsätzen. Wie haben Sie es geschafft, diese Männer für den Film zu gewinnen?
Michael Beamish: Es war nicht schwer, das Vertrauen unserer Protagonist:innen zu gewinnen, weil wir sie nicht als Protagonist:innen behandeln, sondern als Menschen. Es ist niemals unsere Absicht, sie "für uns zu gewinnen". Wenn jemand nicht gefilmt werden möchte, respektieren wir diesen Wunsch und suchen weiter nach jemandem, der bereit ist, seine Geschichte zu teilen. Wir machen oft die Erfahrung, dass die meisten Menschen ihre Geschichte erzählen möchten - wenn man ihnen mit Empathie begegnet, sind sie meist auch bereit, mitzuwirken. Alle unsere Protagonist:innen wollten ihre Geschichte aus persönlichen Gründen vor der Kamera erzählen. Es lag nicht daran, dass wir sie überzeugt haben.
Jasmin Herold: Die Welten dieser Männer waren nicht wirklich fremd für mich. Ich komme selbst vom Land und aus einem Arbeitermilieu, wo Jäger und Soldaten in meiner Familie waren. Als Kind war ich sogar Mitglied im Schützenverein und habe mit neun Jahren, glaube ich, zum ersten Mal selbst ein Gewehr in der Hand gehalten. Verstehen Sie das nicht falsch, ich mag Waffen ganz und gar nicht, aber diese Sozialisierung hat es vielleicht auch einfacher für mich gemacht. Zudem sind ja alle aus Arbeitermilieus. Da spricht man dann automatisch die gleiche Sprache. Davon abgesehen, geht es mir in unseren Dokumentarfilmen auch immer darum, den Mensch aus seiner Situation heraus zu verstehen und nicht zu beurteilen. Das ist mir ganz wichtig und das merkt dein Gegenüber dann auch.
Ist "The Gate" ein Antikriegsfilm?
Michael Beamish: Ja, der Film ist ein Antikriegsfilm, weil er die Auswirkungen des Krieges zeigt, die über Generationen andauern können. Das zentrale Thema des Films ist Trauma. Jede der Hauptfiguren ist traumatisiert, und ihre Traumata stehen alle im Zusammenhang mit den Auswirkungen und dem System des Krieges. Der Film verurteilt die Soldaten nicht für das, was sie während ihrer Einsätze tun mussten, sondern konzentriert sich darauf, wie diese Erfahrungen sie nach dem Ende der Kämpfe beeinflusst haben. "The Gate" stellt nicht die Frage, ob Krieg richtig oder falsch ist, sondern zeigt die psychologischen und emotionalen Nachwirkungen - und macht ihn so zu einem Antikriegsfilm.
Jasmin Herold: Natürlich ist es ein Antikriegsfilm, und es ist ein Film über die Mechanismen eines übermächtigen Militärapparates, der Krieg vorbereitet und durchführt. Das sehen wir ja jetzt derzeit leider wieder sehr verschärft. "The Gate" ist für mich aber vor allem auch ein Film, der zeigen will, dass es im Krieg keine Gewinner gibt, sondern nur Verlierer.
Interview: Nicole Baum