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scobel – Kirchen: Hirten ohne Herde
Die Kirchen verlieren dramatisch an Bedeutung. Erstmals seit Langem liegt der Anteil der Kirchenmitglieder in Deutschland unter 50 Prozent. Forscher sprechen von einer historischen Zäsur.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2022
- Datum:
- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 04.05.2028
Die Missbrauchsskandale allein erklären die Abkehr von den Kirchen nicht. Eine große Rolle spielen auch die Reformunfähigkeit und die sich verändernden Ansprüche moderner Gesellschaften. Dabei ist das Bedürfnis nach Spiritualität gerade in Krisenzeiten besonders hoch.
Existenzielle Krise
Mit 360.000 Austritten kehrten nie zuvor so viele Katholiken ihrer Kirche den Rücken wie im Jahr 2021. Viel besser sah es auch für die Evangelische Kirche nicht aus: 280.000 Mitglieder erklärten 2021 ihren Austritt.
Die dramatische Zahl sexueller Straftaten, das Schweigen und Vertuschen haben unbestritten einen großen Anteil an dieser möglicherweise existenziellen Krise. Doch es spielen viele weitere Faktoren eine Rolle.
Ein großes Problem für viele Gläubige ist die anhaltende Reformunwilligkeit, besonders in der katholischen Kirche: Beispielsweise bleiben Frauen noch immer von Weiheämtern ausgeschlossen, Wiederverheiratete dürfen die Kommunion nicht empfangen, Homosexuelle fühlen sich weiterhin diskriminiert, werden weder getraut noch gesegnet. Das sind nur einige der Themen, bei denen der Vatikan bis heute keine Reformbereitschaft zeigt.
Unsere Gesellschaft hat sich massiv verändert
Sie ist offener, moderner und heterogener geworden. Verschiedene Religionen und Philosophien haben sich mittlerweile vermischt, und neue Ideen entstehen. Ist Religion im traditionellen Sinn nur ein störender Anachronismus, eine Art geduldeter Aberglaube?
Halt, Orientierung und Trost
Für immer mehr Menschen besteht zwischen Glauben und Kirche kein zwingender Zusammenhang mehr. Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Seelsorge waren lange Kernkompetenzen der Kirchen. Geht dies alles nun mit ihrer zunehmenden Bedeutungslosigkeit verloren?
Das Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität, Transzendenz, nach Halt, Orientierung und Trost – gerade in unruhigen Zeiten wie diesen – ist groß. Könnte eine universelle Ethik die Kirchen ablösen? Eine neue Humanität, die weder von einer einzigen Religion noch von einer weltlichen Ideologie dominiert wird, wie es der große Philosoph Charles Taylor durchaus für möglich hält?
Über diese und weitere Fragen diskutiert Gert Scobel mit seinen Gästen.
Gäste
Christiane Florin ist Redakteurin, Autorin. Seit 2016 arbeitet sie in der Redaktion "Religion und Gesellschaft“ beim DLF; zuvor war sie Leiterin der ZEIT-Beilage "Christ&Welt“. Sie hat Politik, Geschichte und Musikwissenschaft in Bonn und Paris studiert. Bekannt wurde sie durch ihre Bücher ""Der Weiberaufstand“ und "Trotzdem – Wie ich versuche katholisch zu bleiben“.
Detlef Pollack ist Religions- und Kultursoziologe. Er forscht u.a. über das Verhältnis von Religion und Moderne. Er promovierte über die Religionstheorie Niklas Luhmanns und ihre systemtheoretischen Voraussetzungen. Er ist Professor für Religionssoziologie im Rahmen des Exzelllenzclusters Religion und Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Cornelia Richter ist österreichische, evangelische Theologin, Hochschullehrerin für Systematische Theologie. Sie studierte evangelische Theologie und Philosophie in Wien und München. Seit 2012 lehrt sie als Professorin für Systematische Theologie und Hermeneutik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Seit April 2020 leitet Richter die Fakultät als Dekanin. Sie koordiniert die DFG-geförderte Forschungsgruppe Resilienz in Religion und Spiritualität.