Kultur
Ausgerechnet Chemnitz
Die Europäische Kulturhauptstadt 2025 zwischen Silberglanz und Kumpeltod
- Produktionsland und -jahr:
-
Deutschland 2025
- Datum:
- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 14.06.2026
Ein Film von Frank Vorpahl
Silber und Kohle, Pioniergeist und Kreativität haben die Industriestadt Chemnitz einst zur reichsten Stadt Deutschlands gemacht.
Eine Stadt der Moderne, die es neu zu entdecken gilt: „C - the Unseen“ - das Motto der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz ist Programm und führt weit in die ungesehene Geschichte einer ganzen Region.
Wanderpfad voller Kunst
Im 40. Jubiläumsjahr der Kulturhauptstädte lässt sich an Chemnitz ablesen, wie sich die Agenda des europäischen Kulturhauptstadt-Labels verändert hat: vom „Glamour-Marketing-Tool“ hin zur gezielten Kulturförderung einer ganzen Region. Bis weit ins Erzgebirge hinein beteiligen sich insgesamt 46 Orte an dem Programm: Ehemalige Kirchen und Fabriken werden zu nachhaltigen Orten der Kunst. Ein weit verzweigter Skulpturen-Pfad – der purple path – ist im Entstehen: Plötzlich wächst neben dem ehrwürdigen „Bergarbeiterdom“ der Silberstadt Schneeberg ein Münzstapel des irischen Turner-Preisträgers Sean Scully und rückt den ersten Bergarbeiterstreik der europäischen Geschichte ins Bewusstsein. Mit very tiny houses sorgen Studierende der Zwickauer Uni auf einem Biobauernhof in Adorf für mobile Pilger-Hütten – und beleben ein idyllisches Stück Jakobsweg. Im neueröffneten Bergbaumuseum Kohlewelt Oelsnitz lassen sich endlose Schächte durchstreifen und mächtige Dampfmaschinen in Bewegung setzen.
Karl Schmidt-Rottluff
Als Wiege des deutschen Expressionismus rückt Chemnitz mit einem neuen Schmidt-Rottluff-Haus den berühmtesten Künstler-Sohn der Stadt ins Rampenlicht – in Nachbarschaft zur „Wohnmühle“, wo Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner ihre „Brücke“ in die klassische Moderne schlugen. Ein Impuls, der in den Kunstsammlungen Chemnitz bildstark fortgeführt und durch die Ausstellung „European Realities“ erstmals mit der Vielfalt realistischer Kunst der 1920er und 1930er Jahre aus ganz Europa kontrastiert wird.
Strahlende Hinterlassenschaften
Die Realität des demokratischen Aufbruchs vom sozialistischen Karl-Marx-Stadt ins gesamtdeutsche Chemnitz spiegelt sich in unzähligen „Maker-Hubs“, in Projekten mit viel Bürgerbeteiligung: Im Projekt #3000 Garagen etwa, das die Improvisationskunst von einst 30.000 Chemnitzer Garagenbesitzer:innen und die nicht weniger fantasievolle Weiternutzung durch Kreative heute sichtbar macht. Zugleich schaut die Kulturhauptstadt differenziert auf bislang kaum aufgearbeitete Geschichte – den Uranabbau in der Region für die sowjetische Atomindustrie zum Beispiel und seine strahlenden Hinterlassenschaften.
Erstes NSU-Dokumenationszentrum Deutschlands
Vor allem aber rückt ein erinnerungspolitisches Projekt weithin sichtbar ins Zentrum von Chemnitz: die Aufarbeitung der rechtsextremen Morde des NSU im ersten NSU-Dokumentationszentrum Deutschlands. Was seit mehr als einem Jahrzehnt bundesweit in Parlamentsdebatten und Koalitionspapieren erörtert und verschoben wurde, findet nun in Chemnitz - einem zentralen Rückzugsort der Mörderbande – einen ersten festen Ort der Aufklärung und des Bewusstmachens. Viele Angehörige der zehn Ermordeten haben lange dafür gekämpft. „Offener Prozess – Ein NSU-Dokumentationszentrum“ gibt ihrem Anliegen nun endlich einen Raum.
Chemnitzer Künstlerfamilie
Geprägt wird die Stadt auch im Kulturhauptstadtjahr vor allem durch Menschen der Region – den Künstler Jan Kummer zum Beispiel: Er hat den legendären Chemnitzer Club Atomino mit auf die Beine gestellt und jetzt in der kleinen Gemeinde Gersdorf die hintersinnige Skulptur Heimatensemble II zum purple path beigesteuert. Seine Söhne und Töchter haben Bands wie „Kraftclub“ und „Blond“ gegründet und nach den rechtsextremen Ausschreitungen von 2018 mit #wirsindmehr und dem alljährlichen Kosmos-Festival das andere, oft ungesehene Chemnitz sichtbar gemacht. Nicht zuletzt daran will Chemnitz als europäische Kulturhauptstadt 2025 – „C – the Unseen“ – nachhaltig anknüpfen.