Gesellschaft

Biopiraterie: Das Geschäft mit Stevia & Co

Viele Produkte basieren auf dem Wissen indigener Völker. Laut internationalen Abkommen sollen sie dafür einen fairen Ausgleich erhalten. Doch kaum eine Firma hält sich daran.

Produktionsland und -jahr:
Deutschland
Datum:
Verfügbar
weltweit
Verfügbar bis:
bis 15.02.2027

Ein prominentes Beispiel für Biopiraterie ist das Süßungsmittel Stevia. Die Pai Tavytera, eine indigene Volksgruppe in Paraguay und Brasilien, wusste um die Wirkung, nutzte die Pflanze und baute sie an. Doch das einstige Land der rund 15.000 Pai Tavytera in Paraguay gehört heute Großgrundbesitzern. Sie selbst leben verdrängt in Reservaten wie Itaguazu nahe der brasilianischen Grenze und haben kaum Einkommen.

Dabei wird der Marktwert von aus Stevia gewonnenen Süßungsmitteln auf knapp 500 Mio. US-Dollar geschätzt. Bis 2028 könnte er sich fast verdoppeln. Unterstützt durch Aktivisten kämpfen die Pai Tavytera dafür, einen kleinen Anteil am großen Geschäft mit Stevia zu bekommen. Sie wollen Land zurückgewinnen und wildes Stevia, wo es noch existiert, bewahren.

Das Geld verdienen andere

Paradoxerweise spielt der kommerzielle Stevia-Anbau in Paraguay heute kaum noch eine Rolle. Großproduzenten in China und den USA haben sich die Pflanze und das Wissen über ihre Süßkraft angeeignet - und bauen Stevia einfach selber an.

Der Agrarwissenschaftler Miguel Lovera kennt den Ursprung der Misere: Ein Schweizer Botaniker brachte Stevia im 19. Jahrhundert von Paraguay nach Europa. In den 1970er Jahren flammte das Interesse von Forschern an der Pflanze und ihrer Süßkraft wieder auf: "Sie haben sich auf das traditionelle Wissen der Pai Tavytera verlassen, die ihnen gezeigt haben, wo die Pflanzen wachsen", erzählt uns Lovera. "Sie haben sie im Prinzip ohne die Erlaubnis der Pai Tavytera mitgenommen. Das ist der erste Akt von Biopiraterie."

Biodiversität und Biopiraterie

Als Biopiraterie bezeichnet man heute die Aneignung von genetischen Ressourcen oder dem Wissen darüber - ohne um Erlaubnis zu fragen und ohne etwas dafür zurückzugeben. Die Biopiraten haben es besonders auf die artenreichen Regionen der Welt abgesehen. Diese liegen größtenteils im globalen Süden.

Die sogenannten "genetischen Ressourcen" aus diesen Gebieten umfassen nicht nur Pflanzen wie Stevia, sondern auch Tiere oder Mikroorganismen. Sie bergen enormes Potential für die Lebensmittel, Pharma- oder Kosmetikindustrie. Auch traditionelles Wissen über Heilpflanzen kann Forschung und Firmen bei der Suche nach neuen Wirkstoffen oder der Entwicklung neuer Produkte viel Zeit und Geld sparen.

Nagoya Protokoll soll für Ausgleich sorgen

Die internationale Gemeinschaft hat sich daher unter anderem auf das Nagoya Protokoll geeinigt. Es sollen Biopiraterie verhindern, die bedrohte Artenvielfalt schützen, wirtschaftlichen Ausgleich schaffen und gleichzeitig Forschung ermöglichen. Die Grundidee heißt: "Benefit Sharing".

Doch warum klappt das so schlecht? In Zürich treffen wir Francois Meienberg, Experte für Biodiversität. Er sagt, Abkommen wie das Nagoya Protokoll würden zugunsten der Industrienationen ausgelegt. Am Ende ist die Anwendung also schlicht eine Machtfrage. Dabei, so betont er, gehe der nachhaltige Nutzen von Biodiversität uns alle an:

"Das beginnt in der Pharmazeutik, bei Medikamenten. Das geht weiter zu Kosmetika, zu Nahrungsmitteln, zu Pestiziden bis auch zu Enzymen, die man heute in der chemischen Industrie braucht. Das ist allumfassend. Unser ganzes Leben ist eigentlich von der Biodiversität geprägt."

Es geht auch anders

Der Unterschied zwischen einer fairen Nutzung von Biodiversität einerseits und der Biopiraterie andererseits hängt letztlich am Goodwill der beteiligten Firmen. Einige Unternehmen setzen die Prinzipien konsequent um - etwa das deutsch-schweizerische Unternehmen Weleda. Für seine Produkte importiert der Naturkosmetik-Hersteller auch natürliche Ressourcen, beispielsweise Carnauba-Wachs aus Brasilien oder Rhetania-Wurzel aus Peru.

Gemeinsam mit eine Handvoll weiterer Firmen wie Wollenhaupt, Worlée und der Martin Bauer Group hat man sich in der Union for Ethical Biotrade verpflichtet, natürliche Ressourcen nachhaltig und gemäß ethischer Standards zu beschaffen. Annette Piperidis, Managerin für Sustainable Sourcing bei Weleda, beschreibt die Anwendung des Nagoya Protokolls als "aufwendig": "Was in Brasilien gilt, ist in Indien schon wieder ganz anders."

"Ich nehme was, also gebe ich auch was"

Dennoch ist sie von dem Prinzip überzeugt: "Man zahlt einen Ausgleich dafür, dass man irgendwo Wissen entnimmt, Pflanzen entnimmt, Forschung, Entwicklung betreibt und Innovationen dadurch generiert." Mensch und Natur im Ursprungsland nicht zu beteiligen, sei "nicht gerecht".

Francois Meienberg setzt auf die Zukunft: "Ich bin mir sicher, dass man schon in ein paar Jahren von den Biopiraten spricht wie heute von den Klimasündern." Die gesellschaftliche Akzeptanz, dass man nur profitiere und nichts zurückgebe, werde schwinden.

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