Menschen in Südafrika stehen mit Mundschutz in einer Schlange

Gesellschaft

Corona-Krise erreicht Afrika

"Die Corona-Pandemie könnte alles, was in den letzten 20 Jahren in Afrika erreicht wurde, wieder zerstören", sagt der Entwicklungsökonom Robert Kappel im Interview mit makro.

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makro: Die Infektionszahlen sind auf dem afrikanischen Kontinent eher niedrig, aber sehr unterschiedlich. Südafrika, Ägypten, Marokko und Nigeria sind Hotspots, während Namibia, Gambia oder Zimbabwe nur Corona-Zahlen im niedrigen zweistelligen Bereich melden. Woran liegt das?

Robert Kappel: In ganz Afrika wird extrem wenig getestet. So gibt es beispielsweise in Nigeria für 200 Millionen Menschen ganze fünf Test-Labors. Wir kennen die Infektionslage schlicht nicht. Die Corona-Pandemie hat zunächst vor allem Länder getroffen, die relativ gut an die globale Wirtschaft angeschlossen sind, und hier vor allem die Ballungsräume. Dort ist der Waren- und Menschenaustausch mit bereits stärker infizierten Ländern intensiver.

Viele Länder sind aber noch immer weitgehend von der Weltwirtschaft abgeschnitten. Auch haben viele Länder gut reagiert und frühzeitig Bus- und Flugverbindungen eingestellt und die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen.

Doch der Virus ist auf dem Kontinent und er wird sich ausbreiten. Dafür sorgen nicht nur die LKW-Fahrer, die das Virus verbreiten, sondern auch die Familienstrukturen. Viele Städter haben Verwandte auf dem Land und so gelangt Corona auch in entlegenere Gegenden. Und wer jetzt in den Städten seine Arbeit verliert und in seinen Heimatort zurückkehrt, trägt das Virus ebenfalls aufs Land. Das ist kaum zu kontrollieren.

Zur Person

  • Entwicklungsökonom Prof. Dr. Robert Kappel

    Entwicklungsökonom

makro: Wie sind die afrikanischen Gesundheitssysteme für die Pandemie gerüstet?

Kappel: Man ist da weitgehend hilflos. Es gibt kaum Beatmungsgeräte, zu wenig oder keine Ärzte, keine Masken und in vielen Orten nicht einmal Krankenhäuser. Dort gibt es nur kleine Krankenstationen, die die Menschen gerade mit dem Allernötigsten versorgen können. In ganz Malawi mit 19 Millionen Einwohnern gibt es nur 50 Ärzte - so viele wie in Birmingham.

Es rächt sich nun, dass viele Länder in den 90er Jahren aufgrund ihrer Überschuldung vom IWF einen strengen Sparkurs verordnet bekamen und ihre schwachen Gesundheitssysteme nicht ausgebaut haben. Nun sind sie auf die Hilfe der WHO und NGOs wie die Bill und Melinda Gates Stiftung angewiesen. Unter der Liberalisierung und Privatisierung, die damals durchgedrückt wurden, leiden die Gesundheitssysteme und der Bildungssektor noch heute. Im Prinzip brauchen die afrikanischen Länder nicht mehr Entwicklungshilfe, sondern eine Stärkung der Zivilgesellschaften und der lokalen Strukturen.

Dennoch besteht Hoffnung, dass die Länder mit ihren wenigen vorhandenen Ressourcen etwas gegen Corona erreichen können. Die lokalen Gemeinschaften sind oftmals gut organisiert, der Zusammenhalt ist groß. Eine Pandemie ist kein Automatismus. Noch ist Zeit zur Vorbereitung.

Wenn die lokalen Gesundheitsorganisationen den Menschen vermitteln können, wie sie sich verhalten sollen, können sie auch mit geringen Mitteln etwas gegen das Virus erreichen. So etwa können sich Dorf-Kooperationen bilden, die zusammen Seife kaufen. Da muss man auf die Innovationskraft der Menschen vor Ort bauen. Das hat sich auch bei Ebola-Ausbrüchen gezeigt: Liberia zum Beispiel hat anfangs sehr erfolgreich das Virus in Schach halten können durch engagierte, lokal verwurzelte Gesundheits-Organisationen.

Breitet sich Corona aber großflächig aus, wird das nicht ohne internationale Hilfen und Organisationen zu bewältigen sein. Sollte das Virus beispielsweise in der nigerianischen Millionenstadt Lagos wüten, könnte das zehnmal schlimmer werden als in New York. Dort gibt es nur eine einzige Intensivstation für mehr als 20 Millionen Menschen. Noch sind dort wenige Fälle gemeldet, aber die Dunkelziffer könnte riesig sein.

5 Fakten zu Corona in Afrika

makro: China ist in Afrika stark investiert, die Wirtschaftsbeziehungen sind eng. Verhält sich Beijing in der Corona-Krise hilfreich?

Kappel: China war in der Vergangenheit sehr willkommen. Eine Million Chinesen leben auf dem Kontinent. Schätzungsweise 40-50% des afrikanischen Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren geht auf das Engagement der Chinesen zurück. In Afrika agiert Beijing wie zuhause: sehr zentralistisch, mit Staatsverträgen, man hat die lokalen Strukturen nicht gestärkt.

In der Corona-Krise könnte China viel tun, Masken und Beatmungsgeräte bereitstellen. Bislang war die chinesische Hilfe aber eher symbolischer Natur und wurde propagandistisch ausgeschlachtet. Auch in der Corona-Krise muss Afrika auf Unterstützung durch multilaterale Organisationen wie die WHO setzen.

Die Afrikaner haben auch sehr genau registriert, dass die Chinesen recht kolonialistisch auftreten und auch die afrikanischen Gastarbeiter in China rassistischen Anfeindungen ausgesetzt sind. Das kommt nicht gut an. Man wird sicher nicht die Wirtschaftsbeziehungen herunterfahren wollen. Aber die hohe Verschuldung - hervorgerufen durch große Infrastrukturinvestitionen - mancher afrikanischer Länder in China ist besorgniserregend.

makro: Welche wirtschaftlichen Folgen hat die Corona-Krise für Afrika?

Kappel: Unsere Wirtschaftskrise schlägt voll durch auf den afrikanischen Kontinent. Zwar hat Afrika auf dem Weltmarkt insgesamt gesehen kaum Einfluss. Der Anteil am weltweiten Handel beträgt nur 4%. Allerdings sind die Länder unterschiedlich stark eingebunden. Südafrika, Kenia oder auch Marokko und Äthiopien sind Teil der internationalen Lieferketten und wurden daher auch als erste von der Wirtschaftskrise in Europa, den USA und China erfasst.

Dort hat sich eine aufstrebende Mittelschicht gebildet, von deren Kaufkraft wiederum viele informelle Jobs abhängen, beispielsweise Straßenhändler oder Hausangestellte. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) rechnet damit, dass durch die Pandemie 20 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen und weitere 110 bis 120 Millionen Menschen in Armut geraten könnten.

Durch die Lockdowns in den entwickelten Ländern ist die Nachfrage nach afrikanischen Produkten stark zurückgegangen. Viele Menschen verlieren ihre Beschäftigung. Dies hat beispielsweise der äthiopischen Textilindustrie enorm geschadet. Auch die Blumen- und die Tee-Industrie in Kenia hatte große Einbrüche. In den Städten fallen Jobs für die Mittelschicht weg, was wiederum viele weitere Jobs im informellen Sektor gefährdet.

Auf dem Land können die Bauern und Kleinbauern wegen der Transporteinschränkungen ihre Waren nicht mehr verkaufen. 80 Millionen Menschen sind akut von "Ultra-Armut" bedroht, das heißt, ihre Ernährungssicherheit ist nicht mehr gegeben und sie sind vom Hunger bedroht. Besonders betroffen sind Krisenregionen wie die Sahelzone, der Südsudan und anderen Regionen, wo Krieg herrscht oder bewaffnete Konflikte ausgetragen werden.

Ein wichtiger Faktor sind auch die Remittances - die Gelder, die Migranten aus reichen Ländern an ihre Familien zuhause schicken. Diese sind von der Größenordnung wichtiger als Entwicklungshilfe. In Mali beispielsweise machen Remittances etwa 10% der Einkommen aus. In der Corona-Krise sind diese Transfers deutlich zurückgegangen, weil viele Migranten-Jobs weggefallen sind. Dadurch stürzen vor allem die armen Menschen ab, die auf diese Remittances angewiesen sind. Ganze Familien hängen von diesen Zahlungen ab und stehen nun vor dem Nichts.

Afrika muss nun nicht nur eine Gesundheitskrise bewältigen, sondern auch noch eine gesellschaftliche Krise, deren Auswirkungen viel schlimmer sein könnten als das Virus. Corona könnte alles, was in den letzten 20 Jahren erreicht wurde, wieder zerstören.

Das Interview führte Doris Ammon.

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