Gesellschaft
Transparente Lieferketten
Kakao, Kobalt, Kinderarbeit - ein Gesetz soll Firmen zu vernünftigen Standards in ihrer Lieferkette zwingen. "Irgendwo muss man ja einmal anfangen", sagt Prof. Julia Hartmann.
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makro: Die Bundesregierung ringt um ein Gesetz, das Unternehmen zur Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards in ihren Lieferketten verpflichten soll. Woran hakt es?
Julia Hartmann: Firmen haben bisher kein gesteigertes Interesse gezeigt, in ihren Lieferketten aufzuräumen, und die Politik hat sich vor dem Beschluss konkreter Maßnahmen gedrückt.
Verletzungen von Mindeststandards in den Bereichen Umwelt und Soziales passieren zwar auch hierzulande, aber bei weitem nicht in dem Ausmaß und der Quantität wie in vielen Ländern, aus denen die meisten Lieferanten zahlreicher Industrien kommen.
Aufgeschreckt durch diverse Skandale erwartet die Öffentlichkeit aber inzwischen, dass Unternehmen diese Probleme in der Lieferkette aktiv adressieren. In begrenztem Umfang ist das auch passiert: Einige Vorreiter wie zum Beispiel Hugo Boss und Unilever arbeiten intensiv daran, Transparenz über ihre globalen Lieferketten herzustellen und Mechanismen für mehr Nachhaltigkeit zu implementieren.
Leider kam es aber bislang nicht zu einem umfassenden Umdenken in der breiten Unternehmenslandschaft. Das wäre jedoch notwendig, denn wenn der Wunsch nach Veränderung in der Lieferkette nur von wenigen Unternehmen kommt, ist der Veränderungsdruck nicht groß genug. Daher nun die gesetzliche Initiative: Wenn nicht freiwillig, dann eben verpflichtend.
Zur Person
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Nachhaltiges Supply Chain Management, EBS Business School
makro: Unternehmensverbände sträuben sich gegen Haftung bei Verstößen und befürchten höhere Kosten. Ist nicht zumindest der Kostenfaktor anständiger Arbeitsbedingungen bezogen auf das Endprodukt minimal?
Hartmann: Die Kosten haben zwei Komponenten: Zum einen die Kosten für Projekte zur Verbesserung der Sozial- und Umweltstandards, zum anderen die Kosten für die Haftung, also zum Beispiel Bußgelder. Auch wenn die Details des Lieferkettengesetzes noch in Abstimmung sind, geht es dem Gesetzgeber meines Erachtens darum, dass Unternehmen sich der Risiken in ihrer Lieferkette bewusst werden, Maßnahmen definieren und darüber berichten. Ein solches Risikomanagement ist machbar und die Unternehmen kämen damit ihrer Sorgfaltspflicht nach.
Unternehmer müssen sich außerdem die Frage stellen, was passiert, wenn sie mögliche soziale und ökologische Risiken in der Lieferkette ignorieren. Da gab es in der Vergangenheit einige tragische Beispiele wie den Zusammenbruch des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch, bei dem über tausend Arbeiter ums Leben kamen.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung solcher Skandale belegt klar, dass die negativen Effekte auf die Reputation von Unternehmen, ihre Legitimität und ihre Wirtschaftlichkeit (z.B. Verlust von Kunden und erschwerter Zugang zu Kapital) langfristig und erheblich sind. Risiken zu vermeiden ist also durchaus in unternehmerischem Interesse.
makro: Nachhaltiges Supply Chain Management ist Ihr Forschungsschwerpunkt. Gesetz hin oder her - wie realistisch ist es, angesichts globaler Lieferketten die Einhaltung nachhaltiger Standards durchzusetzen?
Hartmann: Nun, irgendwo muss man ja einmal anfangen. Aber ich bin zuversichtlich. Ich habe schon viele positive Beispiele gesehen - übrigens auch von kleinen Unternehmen, die gar nicht im Fokus des Gesetzes stehen -, die tolle Erfolge erzielt haben.
makro: Können Sie ein Beispiel nennen?
Hartmann: Ein Wiesbadener Magnettechnikunternehmen mit gerade einmal 25 Mitarbeitern kauft für seine Produkte einige Stoffe aus Asien, insbesondere China, ein. Für dieses Unternehmen ist Nachhaltigkeit extrem wichtig, aber es war auch klar, dass das Einkaufsvolumen zu klein ist, um mit Druck auf Lieferanten Wirkung zu erzielen. Das Magnettechnikunternehmen hat daher bewusst einen ganz anderen Weg gewählt.
Immer wenn sie bei einem Lieferantenbesuch etwas entdeckt haben, das unserer Vorstellung von sozialen oder ökologischen Standards widerspricht, haben sie nicht direkt kritisiert, sondern auf eine Gelegenheit des informellen Austauschs, zum Beispiel beim Abendessen, gewartet. Dann haben sie zwanglos über positive eigene Erfahrungen mit ökologischen und sozialen Themen berichtet. Und siehe da: Beim nächsten Besuch fanden sie einiges davon in den Fabriken umgesetzt.
makro: Wie gehen andere Länder mit dem Thema um? Wie sind die Erfahrungen dort?
Hartmann: Es gibt in anderen Ländern bereits ähnliche Gesetze wie zum Beispiel den Modern Slavery Act in England, das Child Labour Due Diligence Law in den Niederlanden, oder das Lieferkettengesetz in Frankreich.
Erste Forschungsarbeiten untersuchen, wie effektiv diese sind. Die Ergebnisse zeigen, dass Gesetze, welche eine Haftung einschließen und damit über ein reines Berichten von Maßnahmen hinausgehen, zu deutlich tiefgreifenden und umfassenderen Veränderungen bei Unternehmen und in ihren Lieferketten geführt haben, als Gesetze ohne Haftung.
Klar ist aber auch: Es gibt Industrien - beispielsweise diejenigen, die für die Herstellung ihrer Produkte Konfliktmineralien oder seltene Erden benötigen -, in denen die Einhaltung nachhaltiger Standards schwieriger durchzusetzen sein wird als in anderen. Und es wird dauern.
makro: Blockchain spielt in Lieferketten und Logistik eine wachsende Rolle. So soll sie bei der oft problematischen Förderung von Rohstoffen - beispielsweise in Afrika - für eine verlässliche Zertifizierung zu sorgen. Wie schlägt sich die Technologie in der Praxis?
Hartmann: Hier sehe ich eine große Chance: Blockchain ermöglicht eine umfassende Transparenz über die Lieferkette. Informationen in der Chain sind verifiziert und da jeder Teilnehmer Zugriff auf alle Transaktionen hat, die Transaktionen also gleichzeitig von mehreren Rechnern verwaltet werden, ist es kaum möglich, sie zu manipulieren. Allerdings kommt die Blockchain dort an ihre Grenzen, wo es keine oder nur eine begrenzte technologische Infrastruktur gibt. Bei dem Thema Konfliktmineralien wird die Blockchain an ihre Grenzen stoßen.
Das Interview führte Carsten Meyer.