Gesellschaft
Tierwohl: "Letztlich bezahlt der Verbraucher"
Fleisch muss teurer werden: Warum weitere Tierwohl-Label nichts bringen und der Staat die Regie im Stall übernehmen soll, erklärt der Agrarökonom Achim Spiller im makro-Interview.
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makro: Nach jedem Skandal in der Fleischindustrie ist die Aufregung groß. Mittlerweile gibt es jede Menge Label und Verbesserungsvorschläge. Warum sollte ausgerechnet der Vorschlag der Borchert-Kommission der große Wurf sein?
Achim Spiller: Label sind wichtig, aber dieser Weg dauert sehr lange. Zum Beispiel liegt der Marktanteil für Fairtrade-Kaffee nach mehr als 20 Jahren Fairtradelabel bei rund 5%. Die Borchert-Kommission hat dagegen einen Vorschlag gemacht, in den nächsten 20 Jahren die gesamte deutsche Tierhaltung auf einen deutlich höheren Tierwohlstandard zu heben. Wir haben in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung schon 2015 berechnet: Es geht um 3 bis 5 Mrd. Euro pro Jahr.
Erstmals hat die Borchert-Kommission jetzt ein Finanzierungskonzept dafür vorgelegt, das politisch mehrheitsfähig ist. Dem haben inzwischen der Deutsche Bundestag, die Bundesländer, die landwirtschaftlichen Verbände, aber auch die Umwelt- und Tierschutzorganisationen zugestimmt. Einen solch breiten Konsens gab es bei dem Thema noch nie.
makro: Wer zahlt denn am Ende dafür, dass es den Tieren besser geht?
Spiller: Ganz klar die Verbraucherinnen und Verbraucher. Der Wettbewerb in der Fleischwirtschaft ist hart, die meisten Landwirte verdienen in der Tierhaltung nicht wirklich gut für harte Arbeit. Daher kann das Geld am Ende nur von den Kunden oder vom Steuerzahler kommen.
Die Borchert-Kommission hat einen Mittelweg gewählt: Eine Abgabe auf tierische Produkte, also pro kg Fleisch und Milchprodukte. Letztlich bezahlen Verbraucher*innen damit an der Ladentheke. Und wer mehr Fleisch und Käse isst, bezahlt mehr für den Tierschutz. Und das ist ja auch richtig so, da die Kunden letztlich die Tierhaltung "verursachen".
Zur Person
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Agrarökonom, Uni Göttingen
makro: Das heißt, ärmere Menschen können sich bald kein Fleisch mehr leisten?
Spiller: Nein, denn die Borchert-Kommission schlägt eine soziale Kompensation vor. Die ist wichtig, da wir in Deutschland jetzt schon ein Problem der Ernährungsarmut haben. Fehl- und Mangelernährung ballt sich in niedrigeren Einkommensgruppen - auch, weil 5 Euro am Tag für Essen und Trinken wie bei Harz 4 nach allen Forschungsergebnissen nicht ausreichen.
Wir sollten daher das Essen für Empfänger von Sozialleistungen und niedrige Einkommensgruppen nicht noch teurer machen. Diese Gruppen sollten die von der Tierwohlabgabe verursachten durchschnittlichen Mehrkosten eines "Normalverbrauchers" von 35 Euro pro Kopf und Jahr erstattet bekommen.
Faktenbox Tierwohl
makro: Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Gelder an der richtigen Stelle landen und nicht anderswo versanden?
Spiller: Der Staat nimmt das Geld ein und muss es dann den Landwirten zweckgebunden für mehr Tierschutz zukommen lassen. Es wird pro Tier bestimmte Beträge geben - um so höher der Tierschutz, desto mehr. Wir knüpfen dabei an die Stufen des geplanten staatlichen Labels an. Verbindliche Zielrichtung ist die "2-Sterne-Haltung". Alle Tiere sollen Zugang nach Draußen haben, mehr Platz, Licht, frische Luft und mehr Bewegung und Beschäftigung mit Stroh.
makro: Einerseits isst jeder Deutsche pro Jahr im Schnitt 60 kg Fleisch, andererseits empören sich viele Menschen über die Tierquälerei in den Ställen. Steuern Verbraucher*innen das Problem nicht selbst?
Spiller: Nicht Verbraucher*innen haben entschieden, wie Ställe heute aussehen, sondern Wirtschaft und Politik. Und beide haben durch Intransparenz über Jahrzehnte verhindert, dass die Menschen wissen, wie die Tiere gehalten werden. Bei Eiern, wo wir durch die Pflichtkennzeichnung mehr Transparenz haben, gibt es einen hohen und wachsenden Marktanteil für Tierschutzprodukte.
Bei Schweinen und Geflügel hatten Verbraucher*innen bis vor kurzem keine Chancen durchzublicken. Bis heute kann jeder mit Begriffen wie artgerecht oder tierfreundlich beliebig werben. Und der Handel hat die Kunden über Jahrzehnte an Preiswerbung gewöhnt. Nicht ohne Grund heißen die Handzettel des Lebensmittelhandels im Branchenjargon "Schweinebauchanzeigen". Fleisch war das Lockvogelangebot im Handel. Das ändert sich jetzt - aber nur sehr langsam.
Das Interview führten Eva Schmidt/Patrizia Juraschek.