EZB-Chefin Christine Lagarde steht an einem Rednerpult und spricht

Gesellschaft

Inflation: EZB Im Minenfeld

Die Inflation ist zurück, jeder spürt es. Doch was tun jene, deren Job das wäre - die Notenbanker? Warten, zumindest bei der EZB. Das kann klug sein. Oder hilflos.

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Von Carsten Meyer

Im Supermarkt, an der Tankstelle, bei den Heizkosten - die Inflation ist zurück. Lange für tot erklärt, erweist sie sich als quicklebendig. Das hat viele Gründe und eine Folge: Die Leute haben weniger im Portemonnaie.

Was nun zu tun sei - das ist die Frage. Dabei teilt sich die Fachwelt in zwei Lager. Zum einen ist da "Team Transitory". Das sind jene, die den Inflationsschub für "vorübergehend" halten. Die EZB gehört dazu, die amerikanische Notenbank Federal Reserve, überhaupt die meisten großen, öffentlichen Institutionen. Und viele Ökonomen.

Im anderen Lager sitzt eine bunte Mischung: Leute wie Großinvestor George Soros, Ray Dalio, Gründer des Hedgefondsriesen Bridgewater, das ökonomische Schwergewicht Lawrence Summers, die Finanzmagier von Goldman Sachs, eine große Zahl von Industrieunternehmen sowie Larry Fink, Boss des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock. Und natürlich viele Ökonomen.

Wie dauerhaft ist "vorübergehend"?

Die Finanzmärkte darf man eher dem Team Transitory zurechnen. Zumindest noch überwiegt dort eine Art nervöser Gelassenheit. Dies zeigt sich an weiterhin sehr niedrigen Zinsen am Anleihemarkt. Denn hätten Investoren Angst vor dauerhaft hoher Inflation, verlangten sie höhere Zinsen bei langlaufenden Bonds wie z.B. zehnjährigen Staatsanleihen.

Ein gewisses Unbehagen lässt sich aber auch bei jenen beobachten, die die Inflation für vorübergehend halten. Dies macht sich schon an der - sagen wir: fluiden - Definition von "vorübergehend" fest. Beschrieb der Begriff anfangs noch ein kurzfristiges Phänomen, das bald abklingen werde, so bekommt "vorübergehend" mittlerweile Züge von Dauerhaftigkeit. Selbst im Team Transitory wird erst 2023 mit einer Normalisierung der Inflation gerechnet.

Die Angst der Zentralbanker

Etliche Notenbanken rund um den Globus reagieren bereits mit Zinserhöhungen, teils kräftig. Allen voran Brasilien und Russland. Aber auch in so unterschiedlichen Ländern wie Norwegen, Südkorea, Neuseeland und Mexiko sah man sich zum Handeln gezwungen. Die Experten von JPMorgan Chase schätzen, dass von den 31 Zentralbanken, die sie beobachten, bis zum Jahresende rund die Hälfte an der Zinsschraube gedreht haben werden.

Die Gründe für steigende Preise liegen auf der Hand: starke Nachfrage nach dem Ende der Lockdowns, Chaos in den Lieferketten mit Lieferengpässe bei wichtigen Produkten, steigende Rohstoffpreise, Energieknappheit, fehlende Arbeitskräfte in etlichen Branchen. Was Währungshüter jedoch wirklich fürchten, ist, dass sich diese vorübergehenden - wenn auch nicht unbedingt kurzfristigen - Faktoren in Form einer Lohn-Preis-Spirale im Wirtschaftssystem festfressen. Dann wäre Schluss mit "vorübergehend".

In Osteuropa ist es bereits soweit. Die Notenbanken von Ungarn, Tschechien und Polen haben die Zinsen kräftig erhöht, teils mehrfach. Trotzdem rechnet beispielsweise Jiri Rusnok, Chef der tschechischen Notenbank, über den Winter mit 7% Inflation in seinem Land.

Die Fed

Und die großen Notenbanken? In Amerikas Fed rumort es. Die Stimmen, die angesichts der Inflation ein frühzeitiges Ende der lockeren Geldpolitik fordern, werden lauter. Vorläufig hat man sich jedoch nur darauf geeinigt, das Gelddrucken, beginnend diesen November, um monatlich 15 Mrd. Dollar zu reduzieren und so bis Mitte 2022 auslaufen zu lassen.

Zu Zinserhöhungen hält sich Fed-Chef Jerome Powell bedeckt. Allgemein wird jedoch mit einem ersten Schritt Mitte 2022 gerechnet. Insgesamt vermittelt die Federal Reserve einen zwar zögerlichen, aber doch alerten und handlungsfähigen Eindruck.

Die EZB

Bei der EZB ist die Gemengelage diffuser. Zwar stieg die Eurozonen-Inflation im Oktober auf 4,1%, doch es dominiert die große Sorge, dass ein zu frühes Anziehen der Geldpolitik die schwache Wirtschaft wieder in die Rezession kippt. So wie 2011. Zumal das gegenwärtige Inflationsszenario der EZB für 2023 nur 1,5% Teuerung voraussagt.

"Die EZB wird wahrscheinlich vorerst an ihrer Einschätzung festhalten und keine Normalisierung der Geldpolitik einleiten", sagt dazu Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Selbst wenn die Engpässe andauern und die Inflation in den ersten Monaten des kommenden Jahres stärker steigt als erwartet, wird dies die Inflationsbewertung kaum infrage stellen."

Locker "for longer"

Anders als in Polen oder Tschechien, die sich einer dynamischen Wirtschaft mit niedriger Arbeitslosigkeit und geringer Verschuldung erfreuen und somit höhere Zinsen gut verkraften können, ist in etlichen Ländern der Eurozone das Gegenteil der Fall.

Angesichts hoher Schuldenquoten in Italien, Portugal, Spanien oder Griechenland sowie struktureller Probleme dieser Volkswirtschaften sind höhere Zinsen und insgesamt ein Ende der ultralockeren Geldpolitik auf absehbare Zeit schwer vorstellbar. Dies spiegelt auch der Euro-Kurs, der seit Jahresbeginn gegenüber vielen anderen Währungen nachgibt.

EZB-Chefin Christine Lagarde schloss nach dem jüngsten Treffen des Zentralbankrates eine Zinserhöhung im Jahr 2022 ziemlich kategorisch aus. Diese sei "off the chart".

Wer sich nun also fragt, was zu unternehmen sei gegen steigende Preise im Supermarkt, an der Tankstelle oder beim Heizen, sollte nicht auf die EZB warten. Die sitzt fest im "Team Transitory". Aber vielleicht ist der ganze Spuk am Ende tatsächlich nur "vorübergehend".

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