Gesellschaft
Energiewende: Corona-Opfer Klimaschutz?
Die Wirtschaft hält die Luft an, die Natur atmet durch. Der Corona-Shutdown wird die CO2-Emissionen 2020 fallen lassen. Pause für den Klimawandel? Eher die Ruhe vor dem Sturm.
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Von Carsten Meyer
Für die Umwelt ist die Corona-Krise ein Segen: leere Straßen, weniger Lärm, kaum Flugzeuge am Himmel. Für die Wirtschaft ein Fluch: Produktion geht zurück, der Transport von Gütern, die Nachfrage bei Kunden. Selbst der Strombedarf ist europaweit um 15% geschrumpft.
Der Internationale Währungsfonds rechnet mit der schwersten globalen Rezession seit den 1930er Jahren. Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen wie Öl fällt zum ersten Mal seit der Finanzkrise 2009. Die U.S. Energie-Agentur erwartet in ihrer jüngsten Prognose einen Rückgang um 5,2 Mio. Barrel pro Tag, das sind rund 5% der weltweiten Nachfrage.
Weniger CO2
Die Treibhausgas-Emissionen werden 2020 sinken - und zwar deutlich. Ein Virus erwirkt mehr Klimaschutz, als alle Verpflichtungen je vermochten. Die Atempause für die CO2-geplagte Atmosphäre aber wird nicht von Dauer sein. Und könnte sich noch bitter rächen.
Die Frage ist nämlich, wer die enormen finanziellen Mittel aufbringen soll, die zum Umstieg auf eine CO2-neutrale Wirtschaft vonnöten sind. Staaten verschulden sich gerade bis an die Schmerzgrenze für Nothilfen, um die Volkswirtschaft vor dem Virentod zu bewahren.
Wer hat noch Geld für die Energiewende?
Der Ökonom Stephen Roach aus Yale hat die Verschuldung der Industrieländer untersucht. Seit 1880 lag das bisherige Verschuldungsmaximum bei rund 120% der Wirtschaftsleistung. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach der Corona-Krise erwartet Roach eine Verschuldung von 130-140%. Das schränkt den finanziellen Spielraum von Regierungen ein. Man kann Geld ja nicht zweimal ausgeben.
Und der Privatsektor? Die großen amerikanischen Banken, die dieser Tage ihre Unternehmensberichte vorlegten, erschreckten die Finanzgemeinde mit unerwartet hohen Rückstellungen für faule Kredite. Das beschränkt ihren Handlungsspielraum für neue Kredite. Eine schwere Rezession killt den Kapitalmarkt.
Vollbremsung bei Erneuerbaren
Die Folgen schlagen bereits auf den globalen Ausbau erneuerbarer Energien durch. Egal, wer sich dazu äußert, alle stampfen ihre Prognosen für den Ausbau von Wind, Sonnenstrom und Batteriespeichern ein. Die Experten von Rystad Energy aus Oslo rechnen 2020 mit einer Stagnation. Eine baldige Besserung sieht man nicht: 2021 werde es einen weiteren Rückgang des Ausbaus um 10% geben.
Die Analysten von Wood Mackenzie erwarten in den USA nur noch 436 Megawatt neuen Batteriespeicher in Privathaushalten - meist in Kombination mit einem Solardach - statt 632 MW. Die Spezialisten von Bloomberg New Energy Finance sind ebenfalls skeptisch. Sie sehen zudem die globale Verkehrswende, sprich: die Umstellung auf Elektromobilität, ausgebremst. "Je länger die Krise andauert", sagt Firmengründer Michael Liebreich, "desto weniger neues Geld wird fließen."
Schwierige Finanzierung
Selbst bei einem so zukunftsträchtigen Thema wie der Energiewende war es noch nie einfach, neue Projekte auf die Spur zu setzen: Banker, Eigenkapitalgeber, Projektierer, Anwälte, Baufirmen und Versicherer zum Abschluss einer soliden Finanzierung zu kriegen, ist gegenwärtig nahezu unmöglich. Die Beteiligten scheuen das Risiko.
Die wohl wichtigste Veranstaltung an der Schnittstelle von Unternehmen, Wissenschaft und Kapital, der jährliche Bloomberg New Energy Finance Summit in New York, hätte just Anfang dieser Woche stattfinden sollen. Er ist abgesagt. Corona.