Film
"Wir wollen ein Gefühl abrufen"
Interview mit Filmemacher Peter Göltenboth
Filmregisseur Peter Göltenboth ist unter anderem als Macher von Musikvideos und Werbeclips versiert, war an einer ZDF-Dokumentation über Techno in China beteiligt und hat für ZDF/3sat zuletzt als Koautor den Dokumentarfilm "A Song of an unknown Actress" realisiert. Gemeinsam mit Regisseurin Anna Piltz verteilte er im Sommer 2010 zehn kleine Kameras an Berliner Jugendliche, woraus der Dokumentarfilm "10 Wochen Sommer" entstanden ist.
Sie haben über einen langen Zeitraum an der Realisierung dieses Filmes gearbeitet. Wie kam die Idee zu diesem Projekt zustande, und welche Intention steckt dahinter?
Die Idee zu diesem Projekt hatte ich schon vor einigen Jahren, als mein Sohn etwa 15 Jahre alt war und wir die üblichen Eltern-Kinder-Auseinandersetzungen hatten. Ich hatte das Bedürfnis, meinen Blickwinkel zu ändern und diesen Lebensabschnitt positiv und aus Sicht der Jugendlichen darzustellen.
Die Protagonistinnen werden nicht in klassischer Manier mit einer Kamera begleitet, längere Zeit beobachtet und in Interviewsituationen verwickelt. Stattdessen haben sich die Mädchen mit Digitalkameras und Handys selbst gefilmt. Was ist der Grund für diese unkonventionelle Entscheidung?
Jeder Dokumentarfilm wird unweigerlich von den Filmemachern beeinflusst. Man hat ein Thema, sucht sich die passenden Protagonisten und versucht das dann in möglichst wenigen Drehtagen einzufangen. Dagegen wollten wir uns dem Zufall überlassen. Wir haben unsere Protagonisten nicht gezielt gesucht, sondern es hat sich über mehrere Monate langsam herauskristallisiert, wer von den etwa 20 Jugendlichen am Ende seine Geschichte wirklich erzählen will. Genauso wollten wir unsere Bilder nicht gezielt sammeln, sondern einen großen Pool anlegen, aus dem wir dann während des Schnitts fischen können. Durch die selbst geführte Kamera entsteht dann auch eine Nähe und Direktheit, der man sich kaum entziehen kann. In einer gewissen Weise ist diese Art des Filmens auch zeitgemäß für eine Generation, die sich sowieso ständig mit ihren Handys filmt und fotografiert. Letztlich ist es auch die Ästhetik der Amateurkameras, die uns fasziniert, weil sie ähnlich wie Super8 in ihrer Imperfektion eine ganz andere Emotionalität transportiert.
"10 Wochen Sommer" erzählt weniger eine Geschichte, sondern verleiht vielmehr einem Lebensgefühl Ausdruck. Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Musik im Film zu?
Eine unserer Protagonistinnen hat uns im Gespräch gesagt, dass sie sich jeden Monat eine Playlist zurecht legt, und wenn sie diese dann später hört, wieder das Lebensgefühl dieser Zeit fühlen kann. Dasselbe wollen wir mit unserem Film erreichen. Wir wollen ein Gefühl abrufen, also weniger die Fakten und mehr die Stimmungen einfangen, und da spielt Musik natürlich ein große Rolle.
Was "10 Wochen Sommer" von vielen Dokumentarfilmen unterscheidet, ist die Tatsache, dass der Film wie ein radikal-subjektives Videotagebuch wirkt, das unter anderem von einem sehr dichten und einnehmenden Voice-over-Kommentar lebt. Woraus speist sich dieser Text? Wie ist er entstanden?
Der Text ist genau wie die Bilder ein Gemeinschaftsprodukt von Vielen. Wir haben während der gesamten Projektphase einen virtuellen Briefkasten betrieben, in dem die Mädchen anonym ihre Gedanken posten konnten. Zudem haben wir lange Gespräche geführt und von dort Satzfragmente oder auch nur Gedanken übernommen. Am Ende haben wir den Text editiert, in der Sprache angepasst und stellenweise auch sinngemäß ergänzt. Die Grundlage waren aber immer die Texte, die wir von den Mädchen selbst bekommen haben.
"10 Wochen Sommer" ist ein Montagefilm, der auf einem schmalen Grat zwischen filmischer Inszenierung und dokumentarischer (Selbst-)Beobachtung wandelt. Wie haben die Mädchen auf den Film reagiert?
Wir haben uns vor zwei Wochen den Film zusammen mit unseren Protagonistinnen Isabella, Helene, Tatiana und Jorinde angesehen, und wir waren sehr froh, dass der Film ihnen auch sehr gut gefallen hat. Der Film ist ja nicht biographisch und von daher war es nicht klar, inwieweit sie sich darin wiederfinden. Er fängt aber Stimmungen ein, mit denen sich alle identifizieren können, und ich denke dass alle sich ein Stück weit wiedererkannt haben.
Die Protagonistinnen, die im Film zu sehen sind, sind authentisch, dennoch haben sie andere Namen. Warum?
Wir erzählen in unserem Film die Geschichte einer ganzen Gruppe. Einige Gedanken und Erlebnisse, die im Film vorkommen, sind anderen Mädchen passiert, die im Film gar nicht auftauchen. Wir haben in unseren Charakterbeschreibungen Dinge vertauscht und vermischt, denn es ging nie darum, das Leben von ein paar bestimmten Personen zu dokumentieren. Wir haben gemeinsam mit unseren vier Hauptprotagonistinnen versucht das Lebensgefühl einer ganzen Generation zu beschreiben. Entsprechend war es wichtig, diese Distanz zu schaffen, zwischen der Person im Film und der wirklichen Person. Unsere Protagonistinnen werden nicht einfach dokumentiert. Sie haben mit uns zusammen diesen Film erarbeitet, mit Geschichten und Bildern aus ihrem eigenen Leben, aber auch Dingen, die sie aus ihrem direkten Umfeld kennen und in dieses Projekt mit eingebracht haben.
Interview: Daniel Schössler