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Erbgut als Orakel

Schizophrenie ist hochgradig erblich. Genetische Mega-Studien sollen die psychiatrische Forschung weiterbringen.

Datum:
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weltweit
Verfügbar bis:
bis 21.10.2024

Genetik und Psychiatrie

Charite Berlin, Klinik für Psychiatrie. Hier spucken derzeit Schizophrenie-Patienten ins Röhrchen und geben damit ihr Erbgut ab. Auch Gesunde machen das. Der Genetiker Stephan Ripke sucht nach Genen, die bei der Krankheit eine Rolle spielen. Er will Licht ins Dunkel des psychiatrischen Leidens bringen.

Schizophrenie-Kranke hören Stimmen. Fühlen sich verfolgt. Was genau in ihrem Gehirn passiert, weiss man nach wie vor nicht. „Auch in der Behandlung ist in den letzten 50, 60 Jahren nicht sonderlich viel Neues dazugekommen", sagt Stephan Ripke. Aber man wisse, dass die Krankheit hochgradig erblich ist.

Weltweite Mega-Studien

Diesen erblichen Anteil wollen die Genetiker jetzt knacken. Ihr Werkzeug: genetische Mega-Studien, so genannte Genomweite Assoziationsstudien, kurz GWAS, mit zehntausenden Probanden. Dafür haben sich hunderte Forscher in einem Netzwerk zusammengetan - dem Psychiatric Genomics Konsortium (PGC). Ripke ist Co-Leiter der Fachgruppe Schizophrenie.

Das Prinzip einer GWAS: Im Erbgut jedes Einzelnen werden maschinell hunderttausende Bausteine durchforstet, die sich von Mensch zu Mensch unterscheiden können. Sie heissen SNPs. Mit aufwändigen statistischen Verfahren werden die SNPs aller Schizophrenie-Patienten mit den SNPs aller Gesunden verglichen. Ergebnis: bestimmte SNPs kommen bei den Kranken eindeutig häufiger vor. Je mehr Probanden mitmachen, desto mehr SNPs werden offenbar. Aktueller Stand: Beim Vergleich von 65000 Patienten mit 88000 Gesunden identifizierten die Forscher 256 SNPs.

Und diese SNPs sind eine heisse Spur: Sie weisen den Weg zu den Genen, die mit der Krankheit etwas zu tun haben könnten. Es bestätigt sich, was die Forscher bereits befürchtet haben: der erbliche Hintergrund der Schizophrenie basiert nicht auf zwei oder drei Genen. „Es sind hunderte, wenn nicht sogar tausende", sagt Ripke. Sprich: Jedes Gen trägt nur einen winzigen Teil zum Risiko an Schizophrenie zu erkranken bei. Die Schizophrenie ist ein extrem polygenes Leiden.

Analyse Gen um Gen

Was lässt sich damit anfangen? Skeptiker befürchten: Nichts. Die Zahl der identifizierten Gene sei schlicht zu gross, als dass man jemals einen Nutzen daraus ziehen könne. Die Forscher vom PGC lassen sich davon allerdings nicht abschrecken. Sie analysieren jetzt Gen um Gen. In Berlin auf dem Europäischen Kongress für Schizophrenie stellte Stephan Ripke kürzlich Ergebnisse vor. Gefunden haben sie zum Beispiel Gene, die die Signalübertragung im Gehirn beeinflussen. Darunter auch jenes Gen, über das die altgedienten antipsychotischen Medikamente ihre Wirkung entfalten. Ein Treffer, der auf andere hoffen lässt.

„Es zeigt uns, dass ein zentrales Gen schon reichen kann, um die Behandlung immens zu verbessern. Wir wissen im Moment nur noch nicht welches." Stephan Ripke

Einen unmittelbaren Nutzen für den Patienten haben diese Ergebnisse also noch lange nicht. Aber die Resultate aus den Genomweiten Assoziationsstudien eröffnen noch andere Anwendungsfelder. Am heissesten diskutiert wird derzeit über das Potential der «polygenen Scores».

Im Erbgut einer Person kann jetzt nämlich nach den SNPs gesucht werden, die - Stand heute - mit einer Schizophrenie assoziiert sind. Je nachdem wie viele und welche SNPs gefunden werden, berechnet sich daraus der individuelle polygene Score. Auch für viele andere psychiatrische Krankheiten, die eine erbliche Komponente haben, kann man inzwischen polygene Scores generieren, beispielsweise für eine Depression oder eine bipolare Störung.

Hilfe bei der Diagnose

„Eine der ersten Anwendungen wird in der Diagnostik sein", sagt Sven Cichon, Humangenetiker am Unispital Basel und Teil der PGC-Fachgruppe bipolare Störung. Die Idee: Die polygenen Scores sollen helfen, um zwischen den verschiedenen psychiatrischen Diagnosen zu unterscheiden. Das sei extrem wichtig, so Cichon, auch für Therapieentscheide. „Viele Patienten laufen einer klaren Diagnose derzeit oft jahrelang hinterher."

Eine andere Option: aus den polygenen Scores das individuelle Krankheits-Risiko ablesen. Sprich: Ein Gentest für das Schizophrenie- oder Depressions-Risiko. „Ob das wirklich anwendbar wäre, wird derzeit erforscht", sagt Stephan Ripke. Der Nutzen läge in der Prävention. Ein Mensch mit einem hohen genetischen Risiko für Schizophrenie, sollte beispielsweise auf keinen Fall kiffen. Denn Cannabis-Konsum ist ein Risikofaktor für Psychosen.

Das Erbgut ist nur einer der zahlreichen Faktoren zur Erkrankung

Sven Cichon hält solche Tests für extrem riskant. „Wenn man Risikowerte für eine Person angibt, die diese Krankheit womöglich nie entwickelt, dann hat das enorme Konsequenzen - für die Person selber, aber auch für das ganze Umfeld."

Solche Risiko-Tests werden immer mit grossen Unsicherheiten behaftet sein. Denn zum einen bleiben die Umweltfaktoren komplett aussen vor. Psychosozialer Stress oder belastende Ereignisse spielen bei der Entstehung von psychiatrischen Krankheiten aber eine Rolle, teils sogar eine grosse. Zum anderen gibt es genetische Mechanismen, die man mit den polygenen Scores gar nicht erfassen kann.

Die komplexe Genetik der psychiatrischen Erkrankungen haben die Forscher also noch lange nicht vollends verstanden. Aber sie sind dran.

Sabine Olff, Redaktion nano

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