Kultur
"Kulturzeit" vom 15.11.2023: Kinderraub im Namen des Papstes
Die Themen der Sendung: Film "Die Bologna-Entführung", Obdachlos und dann? - Gespräch mit Gerhard Trabert, Ligetis "Le Grand Macabre" und John Akomfrah.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2023
- Datum:
- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 15.02.2024
Die Themen der Sendung:
"Die Bologna Entführung - Geraubt im Namen des Papstes"
Es ist einer der unglaublichsten Fälle der Geschichte und nun bringt der Italiener Marco Bellocchio ihn ins Kino: Sein neuer Film "Die Bologna-Entführung" erzählt eine nahezu vergessene Geschichte aus dem 19. Jahrhundert, die auch heute noch viel Sprengstoff birgt. Es geht um den Fall Edgardo Mortara - ein kleiner jüdischer Junge aus Bologna. Als der einjährige Edgardo an einer Grippe erkrankt, bangt sein katholisches Kindermädchen um sein Leben und nimmt eine Nottaufe vor. Damit gilt das Kind für den Vatikan als katholisch und wird auf Geheiß Pius IX. seiner Familie entrissen und nach Rom gebracht. Dort wird das Kind in einem Kloster einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen und zum Christen umerzogen; die Familie bekommt das Kind nie zurück. Eine durchaus gängige Praxis, damals gab es viele kleine Edgardos im Vatikan von Pius IX.
Dieser Fall aber wurde von der Presse in ganz Europa aufgegriffen und löste eine riesige Welle der Empörung und der Solidarität mit den Eltern aus. Zeitgenössische Historiker sind gar der Auffassung, dass der Fall Mortara ursächlich für den Verlust der weltlichen Macht des Vatikans unter Pius IX. war. Regisseur Marco Bellocchio erzählt in seinem Film schonungslos und historisch präzise die Geschichte nach. Ein packendes Drama, das eine unfassbare Geschichte einem breiten Publikum zugänglich macht. Er berührt dabei Fragen, die heute noch aktuell sind: Wie weit hat sich die Kirche von der Lebenspraxis der Menschen entfernt? Hat Pius IX. mit dem Fall Edgardo seine weltliche Macht aufs Spiel gesetzt und verwirkt? Wie antisemitisch ist die katholische Kirche? Bis heute hat sich der Vatikan nicht bei der Familie Mortara entschuldigt.
Obdachlos und dann? - Gespräch mit Gerhard Trabert
Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen - vor allem wegen des starken Zuzugs von Menschen aus der Ukraine. Im Verlauf des Jahres 2022 waren in Deutschland demnach 607.000 Menschen wohnungslos, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe mitteilte. Das waren im Jahresvergleich fast 60 Prozent mehr als im Jahr 2021, als 383.000 Wohnungslose gezählt wurden. Allerdings gäbe es bei der Entwicklung "deutliche Unterschiede" zwischen deutschen und nicht-deutschen Menschen. Bei den deutschen Wohnungslosen ergab sich ein Anstieg von fünf Prozent, bei den nicht-deutschen um 118 Prozent. Letzteres sei "insbesondere auf die enorme Zunahme der Zahl wohnungsloser Geflüchteter, ganz besonders aus der Ukraine, zurückzuführen, erklärte die Bundesarbeitsgemeinschaft.
Als "wohnungslos" werden in der Statistik auch solche Menschen gezählt, die in institutionellen Einrichtungen wie etwa Flüchtlingsheimen untergebracht sind. Seit Jahrzehnten engagiert sich der Sozialmediziner Gerhard Trabert für die medizinische Versorgung von Obdachlosen und in der Flüchtlingshilfe. Er ist Gründer und Vorsitzender des Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland. Der Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie hatte 2022 für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert - und erwartungsgemäß gegen den Amtsinhaber Steinmeier verloren. Für soziale Themen sensibilisiert wurde er nach eigenen Angaben bereits im Kindesalter, wo er viel Zeit in einem Mainzer Waisenhaus verbrachte, in dem sein Vater als Erzieher arbeitete. Wir sprechen mit ihm über die steigende Obdachlosigkeit.
Der Triumph des Eros in Ligetis "Le Grand Macabre"
Es gibt Werke, die sich wie ein Befund auf die tragische Zeit, in der wir leben, lesen – und die man dennoch nicht krampfhaft in die Gegenwart tragen muss. Der belgische Regisseur Jan Lauwers, Gründer der Needcompany, steht ohnedies nicht in Verdacht, sich zu sehr für Fragen der Moral zu interessieren. Er bringt an der Staatsoper György Ligetis einzige Oper, "Le Grand Macabre", zum ersten Mal auf die Bühne des Hauses auf dem Wiener Ring. Und zeigt, dass Oper und Tanz unter den Werken Brueghels ein überzeugendes Spektakel werden können. Einen "Jedermann" ohne jede Moral könne man sich von der neuen Produktion erwarten.
John Akomfrah - Der britische Videokünstler in der Frankfurter Schirn
Andere Perspektiven und neue Einsichten – das versprechen die Videoarbeiten des britischen Künstlers John Akomfrah. Die Frankfurter Schirn widmet ihm jetzt eine Ausstellung mit drei raumumspannenden Multi-Screen-Installationen. "John Akomfrah – A Space of Empathy" ist bis zum 28. Januar 2024 zu sehen.