Kultur
"Kulturzeit" vom 21.02.2023: Israels Kulturszene und die rechts-religiöse Regierung
Die Themen der Sendung: Israels Kulturszene und die rechts-religiöse Regierung, Berlinale-Zoom: Politisches Kino, das Kind in Steven Spielberg, Nachruf auf Nadja Tiller, Lisa Weedas Debütroman "Aleksandra" und Julian Charrière.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2023
- Datum:
- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 30.04.2023
Die Themen der Sendung:
Israels Kulturszene und die neue rechts-religiöse Regierung
Die neue rechts-religiöse Regierung unter Benjamin Netanjahu und ihr zentrales Vorhaben einer Justizreform rufen Israels Kulturszene auf den Plan. Erst vor Kurzem stellte sich Schriftsteller David Grossmann, der nach dem Tod von Amos Oz als das Gewissen der Nation gilt, auf die Bühne und forderte 150.000 Demonstranten zu noch mehr Protesten auf, denn das Israel von heute sei nicht mehr ihres. "Das Israel von heute ist für viele kein zuhause mehr", sagte er. "Sie gehen entweder ins Ausland oder ins innere Exil, um den Schmerz nicht zu spüren. Das Israel von heute befindet sich in einem schicksalsschweren Kampf um seine Werte, um seine Demokratie, um die Stellung des Rechtssystems, um Menschenrechte, um Ausdrucksfreiheit, um die Freiheit der Kunst, und um die der freien Medien."
Der Kurzgeschichtenschreiber Etgar Keret bewundert zwar die Sprachgewalt Grossmans, meint aber, die Rolle der Kulturschaffenden sei eher eine Statistenrolle: "Diese Revolte braucht keine Künstler, die den Menschen erklären worum es geht. Sie sehen, dass religiöse Fundamentalisten in der Regierung sitzen, die am liebsten in den öffentlichen Schwimmbädern eine Geschlechtertrennung einführen würden. Hier geht's ans Eingemachte." Dass Israel an einem dramatischen Wendepunkt steht, spürt auch Filmregisseur und Drehbuchautor Hagai Levi, der in Israel unter anderem durch politisch engagiertes Kino bekannt wurde und vor zwei Jahren für HBO Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe" mit Jessica Chastain und Oscar Isaac neu verfilmt hat. "Ich wache morgens auf und kann kaum atmen", sagt er. "Was hier gerade geschieht, geht gegen alle Werte, mit denen ich aufgewachsen bin: Toleranz, die Achtung von Minderheiten, Empathie, grundlegende Menschen- und Bürgerrechte." Mit Dutzenden anderen Regisseuren und Produzenten hat er zum Boykott von einer der beiden großen israelischen Filmstiftungen aufgerufen. Diese verlangt von jedem Kulturschaffenden einen unterschriebenen Treueeid auf zionistische Werte.
Berlinale-Zoom: Politisches Kino
Iraner nutzen die Berlinale als Bühne. Ihre Bilder sollen um die Welt gehen und vor allem in den Iran. Sie sollen jenen Mut machen, die noch immer ihr Leben riskieren. So etwa die Regisseurin Sepideh Farsi, deren Animationsfilm "La Sirène" in der Sektion Panorama läuft. Der Film blickt mit den Augen eines 15-jährigen Jungen auf den Krieg zwischen Iran und Irak in den 1980er Jahren und wirft dabei auch ein Licht auf die aktuellen Proteste. Ahmeds sorgenfreie Kindheit endet jäh als die Bomben fallen. Sepideh Farsi lebt heute im Pariser Exil. Weil sie eine junge Oppositionelle bei sich zuhause versteckt hatte, saß sie im Iran ein Jahr lang im Gefängnis. Da war sie gerade mal 16 Jahre alt.
Politik und ihre Machtspiele von Trump bis Putin sind das Thema einer filmischen Parabel. "Seneca" handelt von dem berühmten Philosophen: Der deutsche Regisseur Robert Schwentke nutzt das alte Rom als Folie für seine pessimistische Politfarce um den wahnsinnigen Nero und seinen Lehrer Seneca. Eine Paraderolle für John Malkovich. Er glänzt als Wortakrobat, der ein Luxusleben führt, aber Bescheidenheit predigt. "Seneca" hat mit langen Monologen manche Zuschauer überfordert. Im Film wie im Leben fällt der Philosoph in Ungnade. Sein Leben endet wie die meisten Leben. Er ruft nach seiner Mutter.
Mit dem Tod als Möglichkeit beginnt auch einer der politischsten und zugleich poetischsten Filme im Wettbewerb. Im australischen Wettbewerbsbeitrag "The Survival of Kindness" geht es um Rassismus. Eine in der Wüste ausgesetzte schwarze Frau kann sich befreien und begibt sich auf die Suche nach ihren Peinigern. Eine bildgewaltige Odyssee, die ohne Dialoge auskommt.
Berlinale: Das Kind in Steven Spielberg
Der US-amerikanische Regisseur Steven Spielberg bekommt den Goldenen Bären der Berlinale für sein Lebenswerk. Gezeigt wird bei den Filmfestspielen in Berlin auch sein Film "Die Fabelmans". Das teilweise autobiografisch geprägte Werk greift die Kindheit des Regisseurs auf, seine frühe Liebe zum Kino und begleitet die titelgebende Familie Fabelman ab den 1950er Jahren von New Jersey nach Arizona und schließlich nach Kalifornien.
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Nachruf auf Nadja Tiller
Von der "Miss Austria" zu einer der erotischsten Frauen des europäischen Kinos: Schauspielerin Nadja Tiller wurde zum Kinostar der 1950er und 1960er Jahre - und gemeinsam mit Ehemann Walter Giller zum Traumpaar. Jetzt ist die Schauspielerin im Alter von 93 Jahren in Hamburg gestorben. Zu Tillers bekanntesten Filmen gehörte "Das Mädchen Rosemarie", in dem sie 1958 als Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt auf der Leinwand zu sehen war. Rolf Thieles Satire auf die Wirtschaftswunderzeit galt damals als Skandalfilm und lockte die Zuschauer in Scharen in die Kinos. Er lief beim Filmfest in Venedig und bekam in den USA einen Golden Globe. Für Tiller brachte die Rolle den internationalen Durchbruch: Sie drehte mit Kollegen wie Jean-Paul Belmondo, Jean Gabin, Yul Brunner, Rod Steiger und Curd Jürgens. Nach zahlreichen Kinofilmen, unter anderem mit ihrem Ehemann Walter Giller, arbeitete sie ab den 1960er Jahren verstärkt fürs Fernsehen und am Theater. "Mit Nadja Tiller verlieren wir einen der großen Stars des deutschsprachigen Nachkriegskinos, eine Schauspiellegende, die über viele Jahrzehnte die Film- und Fernsehlandschaft prägte", sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth laut Mitteilung in Berlin.
Lisa Weeda "Aleksandra"
Das preisgekrönte Roman-Debüt "Aleksandra" der niederländisch-ukrainischen Schriftstellerin Lisa Weeda erzählt die Geschichte einer ukrainischen Familie und zugleich die Geschichte eines ganzen Landes.
Mehr Romane über die Ukraine
Umweltaktivist der Kunst Julian Charrière
Während Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrgehänge" im Herbst 2022 in den Niederlanden zum Ziel einer Attacke der Klimaaktivisten wurde, ist seine Kunst als mahnende Kritik am Umgang mit der Erde zu verstehen. Der schweizerisch-französische Künstler Julian Charrière ist ein Naturbursche, der sich Kopfzerbrechen macht über den Zustand und die Zukunft unseres Planeten. Er ist ein charismatischer Spurensucher, der zwischen Kunst, Wissenschaft oszilliert. Der 35-Jährige, der in Berlin ein Atelier betreibt und bei Olafur Elíasson studiert hat, zieht lustvoll dorthin, wo es brennt: zu den schmelzenden Polkappen, atomar verstrahlten Atollen oder umweltschädlichen Palmöl-Plantagen.