Kultur
documenta-Kunstwerk nach Antisemitismusvorwurf abgebaut: Reaktionen
Nach neuerlichen Antisemitismus-Vorwürfen hat die documenta fifteen in Kassel ein heftig kritisiertes Werk abgebaut. Das Internationale Auschwitz Komitee hat nun zum Austausch mit den Künstlern aufgerufen. Wie konnte es so weit kommen? Das haben wir Heinz Bude, Gründungsdirektor des documenta-Instituts, und Kulturstaatsministerin Clauda Roth gefragt.
- Datum:
- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 21.06.2023
Das Werk ist nicht mehr zu sehen, die Debatte ist deshalb aber nicht beendet: Eine heftig wegen antisemitischer Inhalte kritisierte Installation auf der documenta fifteen in Kassel wurde erst verhüllt und am Abend 21. Juni abgebaut. Nun werden die Rufe nach einer Aufarbeitung des Eklats immer lauter. Das Internationale Auschwitz Komitee rief zum Dialog mit den Künstlern auf. "Es wird höchste Zeit, im Rahmen dieser documenta ein Gespräch zu beginnen, die Künstler zu hören, aus welcher Weltsicht diese Bilder so entstanden sind und seitens der documenta öffentlich zu erklären, warum diese Bilder hier auf Widerstand und Ablehnung stoßen", erklärte Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, am 21. Juni. "Überlebende des Holocaust verfolgen die desolaten Entwicklungen um die documenta 15 mit Fassungslosigkeit."
Die Berliner Publizistin Lea Rosh hatte die Entfernung des Werks gefordert. Es handle sich um "Antisemitismus mit langer Ansage", betonte die Vorsitzende des Förderkreises "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" am 21. Juni in Berlin. Das sei "steuerfinanzierter Antisemitismus mitten in Deutschland".
Am 20. Juni hatte auch der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, die Verantwortlichen der Weltkunstausstellung in Kassel aufgefordert, einen Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wegen antisemitischer Motive zu entfernen, nachdem Fotos der Darstellungen auf Twitter kursierten. Die großflächige Banner-Installation "People's Justice" zeigte unter anderem einen Soldaten mit Schweinsgesicht. Er trug ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift "Mossad" - die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes.
Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) sieht durch den Eklat schwerwiegende Auswirkungen. "Das Kunstwerk enthält antisemitische Chiffren, von denen Jüdinnen und Juden sich zurecht verletzt fühlen", erklärte Dorn. "Der bereits entstandene Schaden ist nicht zu relativieren. Im Gegenteil, wir müssen aufarbeiten, wie es bei der documenta geschehen konnte, dass eine solche Bildsprache öffentlich gezeigt wurde."
Rücktrittsforderungen an documenta-Leitung
Es folgte eine Welle der Empörung bis hin zu Rücktrittsforderungen an die documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann. Die israelische Botschaft in Berlin warf der Schau vor, "Propaganda im Goebbels-Stil" zu befördern.
Taring Padi habe sich gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung zu diesem Schritt entschieden, da die Figurendarstellung des Kollektivs "antisemitische Lesarten ermöglicht", teilte die documenta mit, als zeitgleich schon schwarze Stoffbahnen über dem Banner entrollt wurden. Zudem kündigten die Verantwortlichen an, eine Erklärung zu dem umstrittenen Werk installieren zu wollen und ergänzend weitere externe Expertise einzuholen. Das Banner wurde laut documenta am 17. Juni am Friedrichsplatz installiert, nachdem notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden an der 20 Jahre alten Arbeit durchgeführt worden seien. Das Werk wurde nicht für die documenta fifteen angefertigt, sondern war bereits 2002 erstmals auf dem South Australia Art Festival in Adelaide zu sehen.
"Kulturzeit extra": Auf der documenta 15
Mit Ruangrupa übernimmt erstmals ein Kollektiv die documenta. Was erwartet uns auf der Weltkunstschau 2022? "Kulturzeit extra" berichtet aus Kassel.
documenta-Geschäftsführung sieht sich nicht als Prüfinstanz
Vorab war es seitens der documenta-Geschäftsführung offensichtlich nicht auf kritische Inhalte überprüft worden. Die Geschäftsführung sei "keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann und darf das auch nicht sein", sagte Generaldirektorin Schormann laut Mitteilung. Das Banner sei "im Kontext der politischen Protestbewegung Indonesiens entstanden" und dort wie an anderen außereuropäischen Orten gezeigt worden, erklärte sie. "Dies ist das erste Mal, dass die Arbeit in Deutschland und in Europa gezeigt wird. Alle Beteiligten bedauern, dass auf diese Weise Gefühle verletzt wurden."
Auch das Künstlerkollektiv Taring Padi entschuldigte sich "für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen." Die Installation sei "Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt", teilte die Gruppe mit. Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner sei Ausdruck dieser Erfahrungen.
In Indonesien verbreitete Symbolik?
"Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, zum Beispiel für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren. Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen. Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuellen Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen", erklärten die Künstler.
Während etwa von der Kulturstaatsministerin über das Auschwitz Komitee bis zur documenta-Aufsichtsratsvorsitzenden klar von antisemitischer Bildsprache die Rede war, sah die Künstlergruppe selbst das anders. Dennoch wurde nach der heftigen öffentlichen Kritik entschieden: "Als Zeichen des Respekts und mit großem Bedauern decken wir die entsprechende Arbeit ab, die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird." Das Werk werde nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment. "Wir hoffen, dass dieses Denkmal nun der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog sein kann."
documenta 15
Die documenta fifteen findet vom 18. Juni bis 25. September 2022 in Kassel statt. Die 15. Ausgabe der Weltkunstschau wird erstmals von einem Kollektiv kuratiert: Ruangrupa aus Indonesien.
Kulturzeit mit Material von dpa/aktualisiert am 22.06.2022