Kultur
"Kulturzeit" vom 09.03.2023: Gewalt gegen Frauen nimmt zu
Die Themen der Sendung: Femizide und Gewalt gegen Frauen, Hohenzollern-Prinz rudert zurück, Eric Vuillard "Ein ehrenwerter Abgang" - Gespräch mit Katharina Teutsch, Climate Fiction, Jeff Koons im Maschinenraum der Götter.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2023
- Datum:
- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 10.09.2023
Die Themen der Sendung:
Der "Backlash" – Die neue Gewalt gegen Frauen
Die Gewalt gegen Frauen nehme weltweit zu. Zu diesem Ergebnis kommt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), trotz der Fortschritte der Emanzipation! Oder sogar wegen ihr? Es spricht vieles dafür, dass mehr Gleichberechtigung mit mehr Gewalt gegen Frauen einhergeht. Susanne Kaiser nennt es "das feministische Paradox": Je freier und erfolgreicher Frauen ihr Leben gestalten können, desto mehr geraten sie unter Druck und nehmen Hass und Gewalt gegen sie zu, im privaten, digitalen und politischen Raum, ausgeübt hauptsächlich von Männern. In ihrem neuen Buch skizziert sie diesen titelgebenden "Backlash", eine forcierte Wiederherstellung antiquierter gesellschaftlicher Regeln, der sich vor allem in westlichen Demokratien abzeichne. So kippten zum Beispiel die USA gerade die verfassungsrechtlich garantierte körperliche Selbstbestimmung der Frau. Nicht nur Rechtspopulisten wie Trump, Bolsonaro und Co., arbeiten strategisch mit z.B. evangelikalen Kräften daran, Frauen zu unterwerfen und zurück auf einen gesellschaftlich untergeordneten Platz zu verweisen oder sie gleich ganz aus der Öffentlichkeit zu entfernen. Der "Backlash" findet sich auch in progressiveren Milieus. Wie viele Aktivistinnen, Influencerinnen, Parlamentarierinnen, Bürgermeisterinnen haben schon ihre Karriere beendet wegen ständiger Belästigungen, massivem Sexismus, Hass und Drohungen im Netz?
Das alles hat auch etwas mit dem Wandel des Männlichkeitsbildes zu tun, der bei vielen als Kontrollverlust gesehen wird, belegt Kaiser in ihrem Buch. Es geht bis zum Mord an der (Ex-)Partnerin, dem Femizid. "Frauen zwischen 15 und 44 Jahren werden eher durch Gewalt ihres Partners getötet oder verletzt als durch Krebs, Autounfälle, Krieg und Malaria, und zwar zusammengenommen! Die WHO nennt Gewalt gegen Frauen eine Epidemie", schreibt Susanne Kaiser. Auch in Deutschland gibt es jeden dritten Tag einen Femizid und jeden Tag einen Versuch. Das sind keine "Familientragödien" und es ist auch nicht nur einem speziellen Milieu zuzuordnen, sondern es geht um ein strukturelles gesellschaftliches Problem, sagt Leonie Steinl vom Deutschen Juristinnenbund. In ihrer Arbeit ist sie damit jeden Tag konfrontiert, genauso wie die französische Fotografin Camille Gharbi. In erschütternden Bilderserien schafft sie es, die Dimension des oftmals tabuisierten, schrecklichen Geschehens darzustellen. Ein Kissen, ein Hammer, ein Feuerzeug, ein Wasserhahn, ein Wollknäuel sind da zu sehen – die Tatwerkzeuge, mit denen Männer ihre Partnerinnen töteten.
Hohenzollern wollen auf Entschädigung für Schlösser verzichten
Im langjährigen Rechtsstreit über Eigentumsfragen will Georg Friedrich Prinz von Preußen auf Forderungen des Hauses Hohenzollern an den deutschen Staat verzichten. Alle Klagen nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz seien zurückgezogen worden, sagte ein Sprecher des Hauses Hohenzollern am 8. März in Potsdam. Dabei ging es um nach 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR enteignete Immobilien und eine Vielzahl von Kunstwerken und anderen Gegenständen. Das Haus Hohenzollern hatte unter anderem rund 1,2 Millionen Euro vom Land Brandenburg für nach 1945 enteignete Immobilien gefordert.
Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand die Frage, ob Vertreter des Hauses Hohenzollern dem Nationalsozialismus erheblich Vorschub geleistet haben. Ausgleichszahlungen wären in dem Fall gesetzlich ausgeschlossen gewesen. Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange (SPD) begrüßte die Ankündigung. "Georg Friedrich Prinz von Preußen hat jetzt als Chef des Hauses Hohenzollern ein Machtwort gesprochen und eine beherzte Entscheidung getroffen", erklärte sie. "Ich meine, dass es auch die richtige Entscheidung ist." Damit sei nun "gewissermaßen der gordische Knoten im Hohenzollern-Komplex durchschlagen worden". Zudem werde eine "höchst verwickelte und im Einzelnen für Außenstehende kaum mehr nachvollziehbare Debatte um Entschädigungsansprüche verschiedener Art beendet".
Eric Vuillard "Ein ehrenwerter Abgang" - Literaturgespräch mit Katharina Teutsch
Ist es ein schmutziger Krieg? Einer von vielen, die den Kollaps ehemaliger Kolonialreiche begleiten? Ist es eine der vielen Abwehrschlachten der sogenannten freien Welt gegen den vordringenden Kommunismus im Kalten Krieg? Zwischen 1946 und 1954 kämpft Frankreich um den Machterhalt in Vietnam, schickt Fremdenlegionäre oder auch rekrutierte Algerier in den Kampf gegen die Viet Minh, die anfangs mit Guerillataktiken, bald jedoch mit Unterstützung aus Maos China einen regelrechten Krieg gegen die Kolonialmacht führen. Eric Vuillard erzählt davon in einer Mischung aus Dokumentation und Erfindung. Er mischt bissigen Spott und Zorn hinein und erklärt, wie konservative Eliten und wirtschaftliche Interessen in ein Debakel führen. Voller Häme und in knappen Strichen wird daraus ein Text, der sich konsequent in das Werk eines Schriftstellers einfügt, der nicht müde wird, französische Gewissheiten und Selbstbilder zu untergraben.
"Ein ehrenhafter Abgang" wäre wohl das Beste, was sich die französischen Generäle in Vietnam erhoffen könnten. Aber so läuft es nicht. Die Befehle erhalten sie aus Paris, wo kaum jemand einschätzen kann, wie es in Vietnam wirklich zugeht; früher haben die Militärs Orden gesammelt, jetzt scheitern sie im Kampf gegen ein Volk in Sandalen. Die Kosten dafür sind erschreckend hoch, also springen die USA mit Waffenlieferungen ein – und verstricken sich damit auch in diesem aussichtslosen Ringen. Die französische Katastrophe hat einen Namen - den der Festung Dien Bien Phu, wo die Franzosen endgültig überrannt werden. Was darauf folgt, sind Verhandlungen, die erste internationale Indochina-Konferenz in Genf, wo im April 54 ein Vertrag unterzeichnet wird: Vietnam wird geteilt, im Norden herrschen von da an die Kommunisten. Frankreich zieht sich zurück und stürzt in eine innenpolitische Krise. Wir sprechen mit der Literaturkritikerin Katharina Teutsch über den Roman von Eric Vuillard.
Climate Fiction
Gerade ist sie in aller Munde: die ZDF-Verfilmung von Frank Schätzings "Der Schwarm". Sie ist Teil eines regelrechten Schwarms von Filmen und Büchern, die den Klimawandel zum Thema haben. Ein neues Genre ist entstanden. Die "Climate Fiction", kurz "Cli-Fi". Filme und Bücher, die sich mit der Klimakrise befassen, bewegen im Kampf gegen die Erderwärmung manchmal sogar mehr als nur die Zuschauerherzen.
Mit Jeff Koons im "Maschinenraum der Götter" im Liebieghaus in Frankfurt
Wunderwerke der Technik gibt es nicht erst seit der Neuzeit: Automaten und komplexe astronomische Messgeräte wurden schon in der griechischen Antike und in der mittelalterlichen islamischen Welt gebaut. Die Ausstellung "Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde" in der Liebieghaus-Skulpturensammlung in Frankfurt am Main will die Verbindung zwischen Kunst und Technik über fünf Jahrtausende hinweg aufzeigen. Das Astrolabium ist eines von 97 Werken aus vor allem antiken, arabischen und asiatischen Kulturen. Der Sammlungsleiter und Archäologe Vinzenz Brinkmann ist über eine Weltpremiere entzückt über die erste mediale Präsentation des "Mechanismus von Antikythera" nach der Entschlüsselung seiner Wirkweise. Die Rechenmaschine bestehe aus derart raffiniert angeordneten Zahngetrieben, dass sie den Lauf von Himmelskörpern mit allen Anomalien für die nächsten 70 Jahre vorausberechnen konnte.
Das Erstaunen über den Stand von Wissenschaft und Technik in der Antike und in den islamisch regierten Reichen des Mittelalters ist Prinzip der Ausstellung. Prominentes Werk der Gegenwartskunst ist die erste Präsentation von "Apollo Kithara" des US-Künstlers Jeff Koons. Er bildete eine Marmorstatue des musizierenden Apoll nach, malte sie nach den Forschungsergebnissen Brinkmanns bunt und versah sie mit einer animierten Schlange, die den Kopf bewegt und züngelt. Ein Kunstwerk, zu dessen Technik auch die Griechen fähig gewesen wären, wie die Schau vom 8. März bis 10. September beweist. Wir haben Jeff Koons auf seinem Rundgang begleitet.