Gesellschaft
Die erschöpfte Gesellschaft
Willkommen im Zeitalter der Erschöpfung! Tempowahn, allzeitige Verfügbarkeit, Zeitgewinn durch Zeitverlust, das permanente Starren aufs Smartphone bestimmen die Debatte um Entschleunigung, Zeitnot und der permanenten Suche nach Entspannung.
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Schon junge Menschen sind gestresst durch ständig aufpoppende Whatsapp-Nachrichten, immer "am Sprung sein" und Statusupdates aktualisieren. Konsens ist: die knappe Zeit ist ein Gut. Denn nicht Geld, nicht Macht, sondern Beschleunigung regiert die Welt.
Quelle: ORF/3sat
Die Dokumentation "Die erschöpfte Gesellschaft" macht sich auf die Suche nach der gesparten, verlorenen Zeit und nach Perspektiven und Visionen. Mit Apokalyptikern wie dem Jenaer Soziologieprofessoren Hartmut Rosa, einem Beschleunigungstheoretiker für den es nur Ausstieg oder Kollaps gibt oder Anitra Eggler, der selbsternannten "Digital-Therapeutin", die den "richtigen Umgang" mit den neuen Medien lehrt.
Unser Leben im Jahr 2015: Ein Mäandern zwischen Selbstverwirklichung, "Familien-Quality-Time" und "Zeit für sich selbst". Und so wird auf einmal alles zum Stress, selbst die Entspannungsseminare, Bikram-Yogastunden oder Freizeitaktivitäten. Es sei die "stumme normative Gewalt" der Beschleunigung, die alles Leben bestimmt, so der in Jena lehrende Soziologe Hartmut Rosa.
Schlaf mittlerweile verpönt
Quelle: ORF/Constanze Griessler
Und alle sind matt, ausgebrannt, am Limit, ob Top-ManagerIn oder SupermarktkassiererIn: Müdigkeit ist zum Modephänomen einer rund um die Uhr beschäftigten Gesellschaft geworden.
Schlaf ist und bleibt die beste Waffe gegen den "Daueralarmismus" einer 24/7-Gesellschaft. Schlaf ist allerdings verpönt, PolitikerInnen und ManagerInnen prahlen damit, wie wenig sie schlafen, denn zu ruhen bedeutet die kompromisslose Unterbrechung der uns vom Kapitalismus geraubten Zeit. Selbsthilfebücher, Wellnessoasen, Relax Angebote, … die Erschöpfungsindustrie boomt. Wellnesshotels, mit ihren "Kurzurlauben für Körper und Geist" verbuchen hohe Umsätze.
Entschleunigungsbewegungen boomen
Die Gegenbewegung zum Tempowahn ist das Versprechen der "Lass dich fallen und Entschleunigungsgesellschaft" - Angebote, wie Ayruveda- Wochenenden, Entschlackungskuren nach F.X . Mayr, Yogawoche in den Bergen oder Schweigen im Kloster zum noblen Preis für karge Wände.
"Achtsamkeit" quillt aus Zeitungen und Zeitschriften, sie springt einen von Buchtiteln und Titelblättern aus an. Beseelte Menschen, gestresste Menschen, erleuchtete ManagerInnen führen sie unablässig in ihrem Mund und die Presse sorgt dafür, dass sie auch im hintersten Winkel Verbreitung findet.
Forschungsarbeiten zum Thema sind in den letzten 15 Jahren um das 700fache angestiegen. Google hat 2007 begonnen mit seinem Programm "search inside yourself", im "Forbes-Magazine" und der "New York Times" sind euphorische Berichte zum neuesten Hype "Achtsamkeit" - in Wirtschaft wie Wissenschaft - eine Mode geworden. Bis dato war das Thema eher in den Bereich der Esoterik abgeschoben worden.
"Achtsamkeit" passt zum Zeitgeist
Quelle: ORF/3sat
Meditative Methoden werden heute im Labor erforscht und als Mittel zur Geistessschulung ernst genommen. "Achtsamkeit" passt zum Zeitgeist. Immer mehr Firmen setzen auf Stress-Bewältigung in einer Welt mit dem Zwang zum Multitasking. MBSR, die "Mindfulness Based Stress Reduction" als eine Alternative zur buddhistischen Meditation findet nun auch in Europa immer mehr Anklang. Bob Stahl hat dies in den USA mitentwickelt und gibt weltweit Seminare zur Förderung der Achtsamkeit.
Quelle: ORF/3sat
Auch Anitra Eggler meditiert und praktiziert Yoga über den Dächern Wiens. Sie ist Digital-Therapeutin und ihre Mission ist es, die Menschen aus dem digitalen Nirwana zu führen. Sie hält Vorträge vor bis zu 5.000 Personen, propagiert den "richtigen" Umgang mit Smartphone, Tablett und Laptop für ein erfüllteres Leben.
Mit dem Verschwinden von Schlaf und Müßiggang beschäftigt sich die Historikerin Hannah Ahlheim. Aber wie geht es jemanden, der kaum schläft? Der Künstler Jan Fabre ist einer von diesen Menschen und thematisiert in seiner Arbeit Beschleunigung und Erschöpfung.
Uns bleibt nur die Frage: Ist es spät, oder ist es früh? Sind wir wirklich schon am Ende?