Professor Michael Roth betrachtet eine Landschaft

Film

Die Karte der Schönheit

Lässt sich die Schönheit von Landschaften messen? Der Wissenschaftler Michael Roth erhält genau diesen Auftrag: herauszufinden, wo es in Deutschland am schönsten ist.

Produktionsland und -jahr:
Deutschland 2020
Datum:
Sendetermin
17.04.2023
22:25 - 23:50 Uhr

"Die Karte der Schönheit" zeichnet Landschaft neu - als täglich umkämpften Ort, da im Zuge der Energiewende viele Prozesse geführt werden, um Landschaften vor Umgestaltungen zu schützen. Die Karte bietet Beurteilungskriterien, was wie schützenswert ist.

Der Dokumentarfilmer Marco Kugel folgt Michael Roth und seinem Team bei der Erstellung und Präsentation der Karte. Zugleich macht er die von Roth erarbeiteten Beurteilungskriterien für die Schönheit einer Landschaft anschaulich, indem er verschiedene Landschaftstypen in Deutschland in Aufnahmen von hohem ästhetischen Reiz dokumentiert. Dabei hebt er zwei ganz unterschiedliche Landschaftstypen besonders hervor, wo Anwohner gegen geplante Industrieprojekte klagen.

In Osterath am Niederrhein hat Frau Köser als Kind in den Feldern gespielt, jetzt soll in dem Ort, der schon von Autobahnen und Bahntrassen umgeben ist, noch eine riesige Halle für eine Konverter-Anlage gebaut werden. Die Auseinandersetzung zwischen Bürgerinitiative und Betreiberfirma macht exemplarisch Konflikte deutlich, die im Zuge der Energiewende an vielen Stellen in Deutschland entstanden sind.

So auch im Schwarzwald, wo Herr Lutz vom Schwarzwaldverein erklärt, warum er sich gegen den Bau von Windrädern auf den Spitzen einiger Berge engagiert. Aber nicht nur betroffene Bürger kommen zu Wort, sondern Kugel bezieht auch Vertreter der Bundesnetzagentur ein, die für die Genehmigung von Industrieanlagen zuständig ist, sowie Vertreterinnen des brandenburgischen Ministeriums für Landschaft und Umwelt und des Umweltamts für den Kreis Oder-Spree. Er verdeutlicht dadurch, vor welchen Anforderungen Behörden auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen stehen, Landschaft für die Zukunft ökologisch tragfähig zu gestalten und dabei sowohl den Ansprüchen der Industrie wie der Bürger gerecht zu werden.

"Die Karte der Schönheit" zeigt Landschaft als politisch aufgeladen, gewachsen aus fortwährenden Kämpfen um Ressourcen, um Wachstum, um den Ausbau des Wegenetzes und dem dagegenstehenden Bedürfnis, sie vor Veränderung zu schützen, um Erholung und Heimatverbundenheit zu gewährleisten. Der Wissenschaftler Roth erklärt, wie unser Idealbild von Landschaft entstanden ist, sich gewandelt hat und weiter wandeln wird.

Der Dokumentarfilm verändert durch die genaue und vielschichtige Kameraarbeit, die Marco Kugel selbst verantwortet, unseren Blick auf die Landschaften, in denen wir leben oder die wir täglich nur durchqueren, auf dem Weg zur Arbeit oder auf Reisen. Er liefert damit einen Beitrag zu der großen Frage: Wie soll die Welt, in der wir leben, beschaffen sein?

Marco Kugel, geboren 1979 in Filderstadt, studierte Medienkunst/Film an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Er arbeitet als Regisseur und Kameramann. "Die Karte der Schönheit" ist nach "Die anderen Plätze" (2017) sein zweiter langer Dokumentarfilm.

Interview mit Marco Kugel

Marco, wie bist du auf das Projekt der Kartenerstellung und seine Tragweite für das Thema der Energiewende aufmerksam geworden?

Porträtfoto Marco Kugel
Marco Kugel
Quelle: privat

Dazu muss man vielleicht sagen, dass es seit langer Zeit in vielen Ländern auf der ganzen Welt Praxis ist, landschaftliche Qualitäten in Karten zu überführen. Die im Film behandelte "Karte der Schönheit", die erste, die ein ganzes Land beschreibt, hatte diverse Vorläufer, die sich mit viel kleineren Flächen in Deutschland beschäftigt haben, - und per Zufall erfuhr ich 2015 von einer dieser Karten. Zunächst war da ein großes Interesse am wissenschaftlichen Verfahren, an der Bildproduktion der Wissenschaftler*innen, an der Bewertung von Bildern: Wie machen die das, und wie soll sich daraus eine Messbarkeit von Schönheit ergeben? Im weiteren Verlauf änderte sich dann mein Blick auf Landschaft zunehmend, ich begann mehr und mehr den Blick der Wissenschaftler*innen zu verstehen und Landschaft neu zu lesen, die politischen und historischen Einschreibungen zu erkennen und die wirtschaftlichen Kräfte nachzuvollziehen.

Wie entstand das Konzept der Verbindung von Fallbeispielen mit einer ästhetischen Landschaftserkundung?

Es war immer das Bestreben, dass der Film beides ermöglichen soll, eine ästhetische Erfahrung ebenso wie das Eintauchen in die Gemachtheit der Welt. Neben den Personen, die als Akteure unterschiedlicher Kräfte, Wünsche und Ansprüche auftreten, gibt es folglich kleine Inseln im Film, unkommentierte Eindrücke von Landschaften, während derer ich mich als Zuschauer*in ins Verhältnis setzen kann: Gefällt mir das? Reibt sich das mit dem Gesagten? Kann ich jetzt in einem Bild mehr entdecken, als vielleicht noch vor einer halben Stunde? Die täglich stattfindende Herstellung von Landschaft, absichtlich wie unabsichtlich, steht in diesem Spannungsverhältnis von ganz persönlichem Erleben und gesamtgesellschaftlichen Forderungen. Stromgewinnung kann sich mit Freizeiterleben im Wettstreit befinden, ebenso wie sich die Errichtung eines Gewerbegebiets im Konflikt mit generationenübergreifender Identifikation wiederfinden kann. In dieser Art bewegen wir uns auch im Film durch das Land.

Nach welchen Kriterien hast du die Landschaften ausgewählt, die für den Film relevant wurden?

Ein Auswahlkriterium war, was Menschen schützen wollen. Wofür Menschen kämpfen. Und darin verbergen sich schon die extremsten Gegensätze. Bewaldete Berge im Schwarzwald und ein von Fluglärm, Autobahn und Bahnstrecke eingerahmter Flecken am Niederrhein. Beides liegt den Menschen aber so sehr am Herzen, dass eine Veränderung einer Zerstörung gleichkommt. Neben dem Ansatz, die Vielfalt der Landschaften und ihre Gegensätze zu zeigen, war unser Anliegen oft aber nicht so sehr, "welche" Landschaft wir zeigen, sondern "wie". Wie können wir die Ambivalenzen herausarbeiten und Sichtweisen nochmal hinterfragen? Wenn über dem heutzutage sehr negativ gesehenen Kohletagebau die Wolkenschatten ziehen und unzählige Schattierungen von grau und weiß zum Vorschein kommen, ist das eine beeindruckende und höchst spannende Landschaft. Und in einem eigentlich deprimierenden Bild von Ackerfurchen, rechtwinkligen Hecken und dichtstehenden Strommasten kann doch die Symmetrie eine eigene Ästhetik entwickeln und zugleich Ökonomien sichtbar machen.

War es schwierig, Gesprächspartner auf Seiten der Behörden zu finden?

Bis auf wenige Ausnahmen waren die Gespräche mit den Behörden durchweg positiv, wobei man festhalten muss, dass je eindeutiger oder nachvollziehbarer die Entscheidungen der Behörden für den Laien sind, desto zurückhaltender wurde es: Die Bundesnetzagentur, die riesige Planungsräume skizziert, war sehr offen, viele kleinere Behörden hingegen, deren Entscheidungen eben bewirken, dass der Bagger jetzt wirklich ran darf, waren zurückhaltender.

Gab es in der Schnittphase die Option, mit einem Off-Kommentar zu arbeiten?

Landschaft entsteht im Wettstreit vieler unterschiedlicher Positionen. Da sind persönliche Ängste und Wünsche, juristische Vorgaben, politische Zielsetzungen, wirtschaftliche Interessen und noch viel mehr. Es war mir wichtig, die Beteiligten mit eigener Stimme sprechen zu lassen. Die Ambivalenz des Themas wird gerade in der Vielstimmigkeit deutlich. Dem wäre eine irgendwie von außerhalb kommende Instanz nicht gerecht geworden. Die Vielstimmigkeit ist übrigens auch insofern hörbar, da von Nord bis Süd durch ganz Deutschland verschiedene Dialekte bei den Gesprächspartner*innen erkennbar sind, auch etwas, was mit dem jeweiligen Landstrich zusammenhängt und als eine Art Landschaftselement gelesen werden kann.

Ist die Karte, wie erwartet, bei Klagen gegen Bauprojekte im Zusammenhang mit der Energiewende zum Einsatz gekommen?

Tatsächlich wurden und werden die Forschungsergebnisse bisher mehr von Bundesländern - zum Beispiel Brandenburg -, Kommunen und Planungsbüros angefragt und genutzt. Die aktuelle Gesetzeslage bringt es mit sich, dass weiterhin der Artenschutz das schärfste Schwert ist, wenn man ein Bauvorhaben stoppen möchte. Auch wenn ihre Landschaft den Menschen unglaublich wichtig ist, dringt man damit eben vor Gericht nur teilweise durch.

Interview: Udo Bremer

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