Film
Ab 18! - Für die Freiheit
Die Bloggerin Shammi wurde als Freiheitsaktivistin in Bangladesch mit dem Tod bedroht. Heute arbeitet sie als Reporterin für die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands in Berlin.
- Produktionsland und -jahr:
-
Deutschland 2022
- Datum:
- Verfügbar in
- D / CH / A
- Verfügbar bis:
- bis 12.11.2023
Ab 18! - Neue Staffel 2022
Diese Beitragsliste überspringen"Reporter ohne Grenzen" hatte ihr 2015 zu einer dramatischen Flucht verholfen. Danach erlebte Shammi eine Art Verwandlung, die sie im Rückblick als glücklich beschreibt. Deutschkurs und ein anschließendes Journalistenstipendium hatte sie im Eiltempo absolviert.
Der Filmemacher Shaheen Dill-Riaz hat die junge Frau seit ihrer Flucht immer wieder begleitet und ihren Tatendrang verfolgt. Es scheint, als ob dieses eine Leben kaum ausreichen würde, an all den Fronten zu kämpfen, die Shammi Haque wichtig sind. In Berlin setzt sie sich mittlerweile auch für die Belange der Queer-Community aus Bangladesch ein, die wie sie hier im Exil lebt und deren Mitglieder mit ihr auf dem Balkon alte Volkslieder aus der Heimat singen.
Beim Spaziergang mit einem Freund auf dem Tempelhofer Feld erinnert sie sich mit Wehmut an die Reisfelder ihres Herkunftslandes - wohlwissend, dass diese unerreichbar für sie geworden sind. Zurzeit bemüht sie sich um einen deutschen Pass, damit sie ihre Familie zumindest als Touristin besuchen kann.
Shaheen Dill-Riaz wurde 1969 in Dhaka, Bangladesch, geboren. Er war Mitorganisator des "International Short Film Festival Dhaka" und arbeitete als Filmjournalist in Bangladesch. 1992 kam er über ein Kulturstipendium des Goethe-Instituts Berlin nach Deutschland. Nach einem Studium der Kunstgeschichte an der FU Berlin begann er 1995 ein Kamerastudium an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf.
Für seine Dokumentation "Eisenfresser" über Schiffsabwrackung bei Chittagong in Bangladesch erhielt er 2010 einen Grimme-Preis, ebenso 2012 für die 3sat-Produktion "Der Vorführer" innerhalb der Reihe "Fremde Kinder". Für seinen Dokumentarfilm "Fernglück", der ebenfalls für 3sat entstand, war er 2015 zur Zeit der fundamentalistischen Unruhen nach Bangladesch gereist, wo er Shammi das erste Mal mit der Kamera begegnete.
3sat zeigt den Dokumentarfilm "Für die Freiheit" im Rahmen der Reihe "Ab 18!", in der Filmemacher mit außergewöhnlichen filmischen Handschriften Geschichten vom Erwachsenwerden erzählen.
Interview mit Filmemacher Shaheen Dill-Riaz
Wie haben Sie Ihre Protagonistin Shammi kennengelernt?
Shammi war eine der vielen Bloggerinnen und Blogger, die im Februar 2013 in Bangladesch auf die Straße gingen, um gegen die Kriegsverbrecher-Tribunale zu protestieren. Bei diesen Tribunalen sollte ein Islamist, der 1971 beim Unabhängigkeitskieg gegen Pakistan unzählige Menschen umgebracht haben soll, milder bestraft werden als vorgesehen. Die Protestbewegung, die von ein paar Bloggerinnen und Bloggern initiiert wurde, verwandelte sich in wenigen Tagen zu einer Massendemo. Ich selbst war in dieser Zeit beim Dreh meines 3sat-Filmes "Fernglück" in der Hauptstadt Dhaka. Als die Islamisten sich von den Massenprotesten bedroht fühlten, erklärten sie die protestierenden Blogger zu Atheisten, und es begann eine Hetzjagd auf sie. Einige von ihnen wurden auf offener Straße von Unbekannten attackiert, und fünf von ihnen wurden sogar brutal ermordet. Einige der Blogger, die damals aktiv waren, kannte ich persönlich, aber Shammi noch nicht. Sie kam dann, wie viele flüchtende Blogger, 2015 nach Deutschland.
Erst 2018 habe ich Shammi persönlich in Berlin bei einer Kulturveranstaltung kennengelernt. Von ihrer Geschichte hatte ich aber schon vorher gehört. Schon damals hatte ich mir vorgenommen, einen Film über diese Protestbewegung zu machen. Nun ist am Ende daraus ein Porträt Shammis entstanden, das indirekt auch von den Protesten 2013 erzählt. Witzigerweise stieß ich bei einer Sichtung meines Rohmaterials von "Fernglück" vor wenigen Wochen zufällig auf eine Aufnahme von Shammi. Ich hatte gar nicht nach ihr gesucht, sondern nur nach Bildern von der Demo. Und dann sah ich plötzlich diese Aufnahme und dachte: Kann doch nicht sein! Das ist Shammi! Ich habe sie, ohne sie zu kennen oder auch nur zu ahnen, dass sie einmal die Protagonistin eines Films von mir werden würde, aufgenommen!
War es schwer, all die Jahre den Kontakt zu ihr zu halten?
Nein. Shammi war oft präsent in meinem Freundeskreis in Berlin. Auch wenn ich zu denen gehöre, die zu Treffen oft nicht kommen können, haben wir uns hin und wieder mal dort gesehen. Ich wusste, dass sie eine journalistische Karriere anstrebte und irgendwann bei der "Bild" landete. Als ich die Idee für diesen Film schmiedete, 2020, habe ich sie angesprochen. Sie war sofort bereit mitzumachen. Ihre Offenheit und Bereitschaft für den Dreh hat unseren Film inhaltlich sehr bereichert.
Hat sich die Lage in Bangladesch mittlerweile beruhigt?
Die Attacke auf die Bloggerinnen und Blogger, oder überhaupt gewalttätige Aktionen der islamischen Terroristen finden mittlerweile fast gar nicht mehr statt. Es liegt ein wenig daran, dass die politischen Aktivitäten der Fundamentalisten von der Regierung in den letzten Jahren massiv zurückgedrängt wurden. So gesehen hat sich die Lage etwas beruhigt. Aber beunruhigend ist, dass die allgemeine religiöse Intoleranz, insbesondere die Praxis eines ultrakonservativen Islam, in den letzten Jahrzehnten in der Bevölkerung extrem an Zuspruch gewonnen hat. Das beobachte ich schon seit langem und ich glaube, der politische Islam wird in Zukunft davon profitieren, sobald er wieder aktiv werden darf.
Wie hoch stehen die Chancen, dass Shammi ihre Familie wiedersehen kann?
Ich glaube schon, dass sie ihre Familie bald wiedersehen kann. Es würde mich sehr wundern, wenn es mit ihrer Einbürgerung nicht klappt. Sobald sie den deutschen Pass erworben hat, kann sie auch wieder reisen und es gäbe keinen Grund, warum sie ihre Familie in Bangladesch nicht besuchen sollte. Die Islamisten hätten jetzt auch nichts Konkretes gegen sie in der Hand, dass sie sich bedroht fühlen müsste.
Besteht die Gefahr, dass Shammi auch in Deutschland von fundamentalistischen Islamisten bedroht wird?
Freie Meinungsäußerung ist oft dort bedroht, wo der Staat nicht aktiv mit Gesetzen dieses Grundrecht schützt. Ich glaube, Deutschland ist in dieser Hinsicht sogar pro-aktiv. Deswegen können Menschen wie Shammi sagen und schreiben, was sie denken. Aber weder Staat noch Ordungskräfte können garantieren, dass die Einzeltäter einem nicht trotzdem etwas antun. Shammi erhält oft - wie viele andere islamkritische Autorinnen und Autoren auch - feige Droh-Mails oder wird in den Sozialen Medien beschimpft. Aber Fundamentalisten trauen sich nicht physisch anzugreifen. Ich glaube, wir, als Gesellschaft, müssen jegliche Kritik, jede Provokation, jede Satire in Bezug auf eine Religion, und zwar auf jede Religion, uneingeschränkt zulassen. In einer offenen, freiheitlich-demokratischen Gesellschaft muss das eine Normalität sein. Nur dann werden fundamentalistische Kräfte ihren Nährboden verlieren. Sie sollten sich von der Freiheit bedroht fühlen, nicht umgekehrt.
Interview: Nicole Baum