Und noch etwas bewirkt die permanente digitale Selbstbeobachtung und Selbstbewertung: einen steigenden Narzissmus. Die Gedanken narzisstischer Menschen, die im Fall einer Persönlichkeitsstörung nicht nur immer unempathischer werden (und möglicherweise damit auch soziopathischer), kreisen scheinbar auf natürliche Weise immer mehr um das eigene Ich und dessen (scheinbare oder erträumte) Überlegenheit. Im internationalen Klassifikationssystem von Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation, dem sogenannten ICD-10, wird unter F60.80 auch Narzissmus aufgelistet. Narzissmus hat keinen speziellen eigenen Eintrag wie beispielsweise Depression, läuft aber unter "spezifische Persönlichkeitsstörungen".
Schlägt man nach, dann findet man durchaus konkrete Verweise. Um ein guter Narzisst zu sein, sollte man mindestens fünf der folgenden Merkmale erfüllen:
- Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung
- Beschäftigung mit Phantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Glanz, Schönheit
- Überzeugung besonders und einmalig zu sein
- Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung
- Anspruchshaltung und unbegründete Erwartungen
- Ausnutzung zwischenmenschlicher Beziehungen
- Mangel an Empathie
- Neid (häufig) auf andere oder die Überzeugung, andere seien neidisch auf einen
Eine Untersuchung im Journal of Personality Disorders (P. Kanske, M. Sharifi, J. Smallwood, I. Dziobek und T. Singer, Where the narcissistic Mind wanders: Increased self-related Thoughts are more positive and future oriented, Vol. 30, 1-24, 2016) zeigte, dass sich das freie Tagträumen von nicht einmal im klinisch engeren Sinn gestört narzisstischen Menschen deutlich von denen "normaler“ Menschen unterscheidet – unter anderem durch die stärker positiv bewerteten selbstbezogenen Phantasien. Mehrere Bücher haben, nicht nur mit Blick auf Donald Trump, in den letzten Monaten darauf hingewiesen, welche Auswirkungen eine Art von flächendeckendem Narzissmus für unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft, der Familie, aber auch für Politik und Diplomatie haben können.